Raffaello Sanzio da Urbino, Raffael da Urbino, Raffaello Santi, Raffaello Sanzio oder einfach Raffael – alles Namen, die dem bedeutendsten Künstler der italienischen Hochrenaissance zugesprochen werden. Wir feiern dieses Jahr den 500. Todestag des berühmten italienischen Malers und Architekten (*28.03.1483 in Urbino, †6. April 1520 in Rom). Ob Washington, London, Paris, Berlin oder Rom – Museen auf der ganzen Welt, auch wenn gerade temporär geschlossen, widmen dem Künstler bis Ende Jahr verschiedene Ausstellungen. Doch nicht nur wir huldigen dieses Jahr den Meister. Bereits Giorgio Vasari verfasste im 16. Jahrhundert in den so genannten Viten eine Biografie des Malers. Nicht selten wird Raffael darin verherrlicht.

Das Leben des Raffael

Raffael kommt im Jahr 1483 als Sohn eines florentinischen Hof-Malers namens Giovanni Santi in Urbino zur Welt. Durch den frühen Tod seines Vaters erbt Raffael dessen Werkstatt und es entstehen die ersten eigenständigen Werke. Seine erste Ausbildung erhält er bei Pietro Vanucci (Perugino) in Perugia. Um das Jahr 1504 begibt sich Raffael nach Florenz, um Werke von Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarroti zu studieren. Im selben Jahr entsteht sein berühmtes Altarbild Die Vermählung der Heiligen Jungfrau (auch Die Vermählung der Maria genannt, heute in der Pinacoteca di Brera in Mailand).

Schon in den Anfängen des 16. Jahrhunderts entpuppt sich Raffael als ein gefragter Maler. In Florenz bildet er sich fortlaufend weiter und erlangt grosse Bekanntheit durch seine Madonnenbilder, beispielsweise durch die Madonna im Grünen (heute im Kunsthistorischen Museum in Wien). Im Jahre 1508 verlässt er Florenz und reist nach Rom, wo er kurze Zeit später zum Hofmaler ernannt und sogar persönlich von Papst Julius II. beauftragt wird, an Wandmalungen im Vatikan teilzunehmen.

Wenig später genehmigt ihm der Papst die gesamte Ausmalung der Stanza della Segnatura (Bsp.: Die Schule von Athen). Am 1. August 1514 wird Raffael in Rom zum leitenden Architekten des Sankt Peter ernannt, was eine sehr grosse Ehre darstellt. Leider kann der Meister aber nur einen kleinen Teil dieses Auftrages vollenden, da er bereits am 6. April 1520 mit nur 37 Jahren stirbt. Raffael wird auf seinen Wunsch im Pantheon in Rom beigesetzt. Der italienische Bildhauer Lorenzotto (Lorenzo Lotti) erstellt die über dem Grabgewölbe stehende Marien-Marmorstatue, welche unter dem Namen Madonna del Sasso bekannt ist.

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Vasaris Vita: Raffael und die Eigenschaften Grazia und Bellezza

In Giorgio Vasaris Vita (Biografie) über Raffael statuiert er den Maler als künstlerisches Exempel. In Vasaris zweiter Ausgabe wird Raffael zu einem Vorbild für die kommenden Künstler-Generationen. Vasari betont dabei, dass Raffael vor allem die Eigenschaften Grazia (Grazie, Anmut) und Bellezza (Schönheit) sowohl in seinen Werken als auch in seiner Persönlichkeit zum Ausdruck bringt. Darüber hinaus kombiniert er diese sogar mit Studio (Fleiss) und Sprezzatura (Lässigkeit). Die Lässigkeit sieht Vasari darin, dass Raffael die Mühen bei der Ausführung von schwierigen Dingen zu verbergen versucht und es so scheint, als ob er alles mit besonderer Leichtigkeit vollbringen kann.

Der Schriftsteller und Humanist Baldassare Castiglione, ein Zeitgenosse Vasaris, belegt diese Kombination Raffaels von Sprezzatura (Lässigkeit) und Grazia (Anmut) mit folgendem Zitat:

„In ogni cosa una certa Sprezzatura, che nasconda l’arte e dimostri ciò che si fa e dice venir fatto senza fatica e quasi senza pensarvi. Da questo cerdo io che derivi assai la Grazia […].“ (Castiglione 1528, Kap. I, S. 47, zit. nach Henning 2005, S. 230.)

Ins Deutsche übersetzt:

„Eine gewisse Art von Lässigkeit, die die Kunst verbirgt und bezeigt, dass das, was man tut und sagt, anscheinend mühelos und fast ohne nachzudenken zustande gekommen ist.“ (Henning 2005, S. 230)

Die Anmut ist also das zentrale Charakteristikum Raffaels. Vasari weiss aber, dass Grazia nicht ausschliesslich als Gottesgabe zu verstehen ist, sondern Raffaels Kunstfertigkeit nur durch einen mühevollen und unermüdlichen Lernprozess zustande kam, also durch Studio. Vasari betont vor allem die Lebendigkeit der Figuren von Raffael, die perfekte Imitation der Natur, den Ausdruckswert der Farben, die seine Figuren lebendig erscheinen lassen, sowie die mannigfaltige Darstellung emotionaler Zustände. Der Betrachter selbst wird von seinen Werken in den Bann gezogen und durch neue Formen des seelischen Erlebens bewegt.

Raffaels Ausdruckswert der Farben (Colorito)

Den oben genannten ‘Ausdruckswert der Farben’ möchte ich noch genauer erklären: Neben den Fähigkeiten Disegno (Zeichnung als Abbild der künstlerischen Idee) und Invenzione (hier ist die in Angemessenheit und Mannigfaltigkeit umgesetzte Idee im Geiste des Künstlers gemeint) ist für Vasari das Colorito, also Kolorit, die zentrale Forderung einer jeglichen künstlerischen Ausbildung. Um Raffaels Kolorit zu erfassen, verwendet Vasari oft zwei Begriffe: Einerseits Grazia und andererseits Unione.

Unione heisst übersetzt so viel wie farbliche Einheit oder harmonische Vereinigung der Farben. Vasari kombiniert also die beiden Begriffe, um die Wirkungsästhetik der Farben Raffaels zu erschliessen. Dabei verwendet er Unione vor allem für die Hell-Dunkel Gestaltung der Werke von Raffael. Mit Grazia hingegen beschreibt er die Schönheit der Farben und bestimmt diese als ‚Grazia dei Colori’. Vasari behauptet, dass die Schönheit der Farben alle Schwierigkeit ihrer Anwendung verbirgt, da sie aus der Anmut und Natürlichkeit resultiert, was wiederum zum oben genannten Argument bezüglich Studio und Sprezzatura führt. Die Begriffe Grazia und Bellezza kennzeichnen also sowohl das Werk als auch den Charakter des Künstlers.

Wie sehr Vasari Raffael schätzte, zeigt dieses Zitat. Es bezieht sich auf den Tod Raffaels:

„O glückliche und selige Seele, über die jeder Mensch gerne nachdenkt und deine Taten verherrlicht und jede deiner hinterlassenen Zeichnungen bewundert! Mit gutem Grund hätte die Malerei, als dieser edle Künstler starb, gleich selbst mitsterben können, da sie, als er die Augen schloss, fast blind wurde. Nun bleibt uns, die nach ihm verblieben sind, nur, die gute, sogar vortreffliche Weise nachzuahmen, die er uns als Beispiel hinterlassen hat und, wie es seinem Talent und unserer Verpflichtung gebührt, in unserer Seele eine anmutige Erinnerung an ihn zu erhalten und mit unserer Zunge immer ein sehr ehrenhaftes Zeugnis von ihm zu geben. Denn in der Tat verdanken wir ihm, Technik, Farben und Bildfindung einheitlich zusammen- und zu jener Vollendung und Perfektion geführt zu haben, wie man sie kaum noch erhoffen konnte.“ (Gründler/Lorini 2004, S. 84f.)

Heute, 500 Jahre nach dem Tod von Raffael, ist es an uns, die Werke des Künstlers zu bestaunen (oder zu kritisieren). Bist du dergleichen Meinung wie Vasari? Siehst du in Raffaels Werken die Grazia und Bellezza – oder vielleicht etwas ganz anderes? Ausstellungen weltweit geben dir dieses und nächstes Jahr die Gelegenheit die Werke des Meisters zu sehen (im Moment sind aufgrund des COVID-19 die Museen noch geschlossen, jedoch möchte ich trotzdem darauf hinweisen, da man viele Ausstellungen und Sammlungsbilder auch online einsehen kann) :

  • Berliner Gemäldegalerie: Raffael in Berlin. Die Madonnen der Gemäldegalerie (bis 14.06.2020).
  • Scuderie del Quirinale (Rom): Raffaello (bis 02.06.2020).
  • Hamburger Kunsthalle: Raffael (22.01.21 – 25.04.2021).

Möchtest du mehr über die Viten von Vasari erfahren? Schaue dir dieses Video von BBC dazu an:

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Siehe dir auch meinen Beitrag zu Caravaggio und Bernini im KHM in Wien an.

Bilderquelle: Eigene Aufnahmen, Pinacoteca di Brera in Mailand, Kunsthistorisches Museum in Wien, Vatikanische Museen in Rom

 

Literatur

  • Gründler, Hana/ Lorini, Victoria: Giorgio Vasari. Das Leben des Raffael, Berlin 2004.
  • Henning, Andreas: Raffaels Transfiguration und der Wettstreit um die Farbe. Koloritgeschichtliche Untersuchung zur römischen Hochrenaissance, München 2004.
  • Lorini, Victoria/ Burioni, Matteo/ Feser, Sabine: Giorgio Vasari. Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler anhand der Proemien, Berlin 2004.
  • Wagner, Christoph: Farbe und Metapher. Die Entstehung einer neuzeitlichen Bildmetaphorik in der vorrömischen Malerei Raphaels, Berlin 1999.