Caravaggio und Bernini – zwei Barock-Künstler, die (scheinbar) nicht unterschiedlicher sein könnten, vereint das Kunsthistorische Museum in Wien in der neuesten Ausstellung «Caravaggio und Bernini. Entdeckung der Gefühle.» Der eine wird öfters als ‘Mörder’ betitelt (zu Unrecht?), der andere gilt als der Päpste-Günstling schlechthin. Ferner ist der eine Maler, der andere Bildhauer. Da kommt die Frage auf, weshalb das KHM die beiden Künstler in einer Ausstellung vereint. Was auf den ersten Blick nicht ganz ersichtlich ist, scheint auf den zweiten Blick schon fast logisch zu sein – beide revolutionieren und inspirieren ihre Zeit und ihre Zeitgenossen, setzen auf höchste Emotionalität und höchstes Drama; der Fokus der gezeigten Kunstwerke liegt auf dem Höhepunkt des Geschehens sowie der Auflösung bekannter, ikonografischer Traditionen.

Was bewegt uns? Als Besucher sollten wir unsere Gefühle während der Ausstellung beobachten – ist es Freude, Trauer, Schrecken, Staunen oder Verzückung? Was wir heute mit Emojis ausdrücken, übermittelten in der Barockzeit die Kunstwerke. Doch bevor ich auf die Ausstellung eingehe, möchte ich einige Worte über die Künstler sagen. Die Lebenszeiten von Caravaggio und Bernini überschneiden sich nur um zwölf Jahre.

Michelangelo Merisi da Caravaggio – der verruchte Künstler

Mörder und bisexuell? Caravaggio (1571-1610) wird das Bild des verruchten Künstlers nicht los. Er kommt 1592 nach Rom mit 21 Jahren, kann sich kaum das Essen leisten und wird innerhalb von drei Jahren berühmt. Caravaggio pflegt einen nachlässigen Lebensstil und nimmt seine Prostituierten als Modelle. Doch für einige Jahre steht er unter dem Schutz und der Förderung des Fürstenhauses Colonna. Bei einer Auseinandersetzung in Rom 1606, in die Caravaggio involviert ist, wird eine Person im Affekt tödlich verletzt, woraufhin Caravaggio die Flucht nach Malta gelingt. Er erhofft sich durch die Aufnahme in den Malteserorden seine Rehabilitierung. Doch auch von dort muss er fliehen und malt später in Sizilien sowie Neapel bedeutende religiöse Kunstwerke. Kurze Zeit später stirbt der rastlose Künstler mit nur 39 Jahren, bevor er vom Papst begnadigt werden kann. Doch er hinterlässt rund 60 Gemälde (beinahe jedes einzelne davon war ein Skandal), die durch ihre Hell-Dunkel-Malerei (Chiaroscuro) bekannt sind. Nur wenige Werke sind aus des Meisters Hand (das einzige signierte Werk befindet sich in Malta in der St. John’s Kathedraledie Enthauptung Johannes des Täufers. Die Signatur befindet sich im Blut des Johannes.), seine Nachahmer werden Caravaggisten genannt.

Gianlorenzo Bernini – der Schöpfer des barocken Rom

Als Universalgenie oder Wunderkind wird Gianlorenzo Bernini (1598-1680) oft bezeichnet. Wie kein anderer prägt der Künstler das Bild der barocken Epoche in Italien und verkörpert gleichzeitig die Eigenschaften des barocken Künstlers par excellence: Weltgewandt, belesen und geschickt auf dem Parkett der diplomatischen Beziehungen agierend. Er geniesst Wohlstand, Ruhm und Ehrungen – so wird er beispielsweise als 22-jähriger aufgrund seiner künstlerischen Verdienste in den Adelsrang eines Cavaliere erhoben. Bernini ist Bildhauer, Maler, Architekt, Schauspieler und Höfling sowie enger Berater und Vertrauter mehrerer Päpste. Insgesamt prägt er fast fünfzig Jahre lang das barocke Rom. Doch so eine Vorrangstellung bringt Neid und Missgunst von Künstlerkollegen mit sich, die ihn oftmals als ‚Petersdom-Drachen‘ bezeichneten. Und er ist nicht zimperlich im Vertreiben seiner Konkurrenz, doch versteht er es mit seinem Charme die Grossen seiner Zeit in seinen Bann zu ziehen und wird bereits zu Lebzeiten verehrt wie nur ein Michelangelo vor ihm.

Zur Ausstellung: Caravaggio & Bernini, KHM Wien

Sowohl Caravaggio wie auch Bernini setzen auf Emotionen und frische Ideen. So zeigen sie die Darstellung einer Handlung auf ihrem Höhepunkt – für ihre Zeit ist das neu und revolutionär; dies wird später jedoch prägend für die Barockzeit sein. Hinzu kommen die realistische, wirklichkeitsnahe Abbildung von menschlichen Körpern sowie die Gefühlsdarstellungen der Figuren. Diese Verbindung von Empfindung und Realität ist umwälzend und hinterlässt Spuren in ganz Europa.

Die in der Ausstellung gezeigten Werke sind nach Emotionen bzw. Affekten geordnet. Meiner Meinung nach ein tolles Konzept, denn so treten Malerei und Skulptur in einen Dialog. So können wir als Besucher nicht nur die beiden Medien vergleichen, sondern auch von Staunen (stupore) über Liebe (amore) oder Scherz (scherzo) zu Entsetzen (orrore), Mitleid (compassione) oder Lebhaftigkeit (vivacità) wandern – quasi eine Gefühlsreise unternehmen. Im Folgenden stelle ich einzelne gezeigte Werke vor. Die Ausstellung wird zudem von Werken von Zeitgenossen der beiden Meister begleitet, worauf ich in diesem Artikel aber nicht eingehe.

Emotion Amore: Der in der Ausstellung gezeigte Hl. Sebastian (1617, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid) von Bernini stellt das erste Kunstwerk dar, welches der Künstler für den Kardinal Maffeo Barberini geschaffen hat und markiert als Frühwerk den Beginn einer lebenslangen Verbindung. Berninis Sebastian hat das Martyrium bereits erlitten und sitzt beinahe bewusstlos auf einem Felsen bzw. lehnt sich an einen Baumstumpf, welcher ihm Halt zu geben scheint. Der Heilige scheint kraftlos und kurz davor vom Felsen herabzugleiten. Doch im linken, vorgestellten Bein erkennen wir die kraftvolle Modellierung der Muskulatur und auch die Adern auf Beinen und Armen lassen erahnen, dass er noch lebt. Bernini gelingt es aus hartem, leblosen Stein weiche, verletzliche Haut zu bilden. Die Blätter des Lorbeerbaumes verweisen auf die Rettung und Überwindung des Todes. Wären da nicht die zwei Pfeile, könnte man den Heiligen mit Christus verwechseln. Bernini stellt einerseits den Hl. Sebastian anatomisch genau als klassisches, antikes Schönheitsideal dar, andererseits nimmt er deutlich Bezug auf Michelangelos Pietà-Darstellung und weicht bewusst ab von den bisher bekannten Ausführungen – beispielsweise von Mantegna.

Emotion Vivacità: Selbstportraits von Bernini sind aus all seinen Lebensperioden vorhanden. Das in der Ausstellung gezeigte Portrait entsteht ungefähr im Alter, in dem er heiratet (1640, Uffizien, Florenz). Mit vierzig Jahren ist das zu dieser Zeit auffallend spät. Über seine Ehefrau, Caterina Tezio, ist wenig bekannt. Sie schenkte Bernini insgesamt elf Kinder. Doch so sehr Bernini es liebte, sich selbst abzubilden, schien es ihm doch nicht nötig, Frau oder Kinder künstlerisch zu verewigen (oder gingen die Werke verloren?). Die Intensität seiner Persönlichkeitswirkung lässt sich im Portrait erahnen.

Emotion Moto & Azione: Im Jahr 1632 plant man die Aufstellung eines Obelisken vor dem Palazzo Barberini. Dies wird zwar nicht realisiert, letztlich wird er jedoch 1665 vor der Kirche Santa Maria sopra Minerva stehen. Dazu fertigt Bernini ein Terrakotta-Modell an, welches in der Ausstellung zu sehen ist (um 1632 oder um 1658, Privatsammlung, Florenz). Bernini gelingt eine einzigartige Umsetzung: Er verwandelt ein starres Architekturelement, den Sockel des Obelisken, in ein lebendiges Wesen. So vereint Bernini in seinem Werk Elefant mit einem Obelisken drei Aspekte: Bewegung, Lebendigkeit und Scherz (Bild: Original, Rom).

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Weitere Werke von Bernini wie beispielsweise die berühmte Medusa, die Büsten von Thomas Baker oder Kardinal Richelieu befinden sich auch in der Ausstellung, durften aber leider nicht fotografiert werden.

Emotion Amore: Bei Caravaggio ist Johannes der Täufer (um 1602, Musei Capitolini, Rom) kein Prediger oder erwachsener Mann, sondern ein Knabe. Und als wäre das nicht genug, sitzt er nackt, beinahe lasziv auf einem Tier-Fell und umarmt verschmitzt lächelnd einen Widder (und kein Lamm wie es üblich wäre). Es scheint als flirte er mit dem Betrachter. Doch warum ein Widder? Weist Caravaggio hier auf die Opferung Isaaks oder auf die Passion Christi hin? Oder ist es eine Anspielung auf den Sohn des Auftraggebers, der im Sternzeichen Widder geboren und auf den Namen des Heiligen getauft wurde? Diese neue Interpretation einer bekannten Darstellung zusammen mit seinem extremen Realismus sowie den Hell-Dunkel-Effekten bringt Caravaggio nicht nur in seiner Zeit höchste Aufmerksamkeit.

Emotion Visione: Die Rosenkranzmadonna von Caravaggio, aus dem Bestand des KHM (um 1601/05), sticht schon durch die schiere Grösse des Bildes aus den anderen Räumen heraus. Ursprünglich als Altarbild entstanden und abgelehnt durch den Auftraggeber, kaufte es Peter Paul Rubens. Aus der Nähe fallen uns zuerst die verschmutzten Fusssohlen eines Betenden auf, welche direkt in der Verlängerung des Jesusknaben liegen – ein Verweis auf den von Gott auf die Erde gesandten Sohn? Unerhört für diese Zeit ist zudem, dass die Frau aus dem Volk Maria direkt anschaut. Dominikus und Maria scheinen im Zwiegespräch zu sein. Sie weist ihn an Rosenkränze an das Volk zu verteilen. Der Stifter begibt sich unter den schützenden Mantel des Heiligen und schaut den Betrachter dabei auffordernd an. Rechts von Maria wendet sich auch Petrus Martyr an uns. Die Blicke der Heiligen wiederspiegeln ihre Rolle als Vermittler im Heilsgeschehen, denn das normale Volk erblickt Maria oder das Jesuskind nicht. Obwohl der Besucher auf Höhe des normalen Volkes zugeordnet wird, hat nur er den Überblick über die gesamte Szene und wird als einziger vom Christuskind direkt angesehen. Der Auftraggeber lehnte das Bild ab – zu skandalös.

Emotion Orrore & Terribilità: Auch David mit dem Haupt Goliaths von Caravaggio (um 1600, KHM Wien) weicht von der bekannten Darstellungsweise ab. Sein David ist nicht muskelbepackt oder weist stolz auf die eben vollbrachte Tat hin. Er ist vielmehr ein schmächtiger, schöner Jüngling, dessen Schwert lässig auf der Schulter ruht. Die Steinschleuder hat er gegen ein Schwert umgetauscht. Das Haupt Goliaths wirkt schaurig – der Unterkiefer ist heruntergefallen und Blut tropft aus dem Hals. Seine Augen sind noch geöffnet und im Gesicht spielen sich gerade noch die letzten Muskelzuckungen ab – ein wahrer Schrecken im Kontrast zum rosigen Burschen. Die dramatische Lichtführung betont die Gegenpole Leben und Tod bzw. Schönheit und Schrecken. Das Werk symbolisiert Caravaggios Gnadengesuch an den Papst nach vier Jahren im Exil in Süditalien. Das Gesuch wird zwar erhört, jedoch zu spät für den Künstler, der zeitgleich an einem Fieber nahe Rom stirbt.

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Weitere berühmte Werke von Caravaggio wie Narziss, Knabe von einer Eidechse gebissen oder die Dornenkrönung Christi befinden sich auch in der Ausstellung.

Die Ausstellung schliesst mit dem Affekt Scherz – so sieht man freche Putti und Trunkenbolde sowie fröhliche Gestalten. Man verlässt die Ausstellung trotz gedämpftem Licht gelassen und freut sich im Shop ein Emoji zu kaufen. Im Frühjahr 2020 wird die Ausstellung im Rijksmuseum in Amsterdam zu sehen sein.

Fazit

Noch bis 20. Januar 2020 können wir Caravaggio und Bernini im Kunsthistorischen Museum in Wien bestaunen. Die beiden Künstler verbindet eine neue, wirklichkeitsgetreue Naturdarstellung – die Figuren haben eine auffallend starke Mimik und drücken intensive Gefühle aus. Dies erfordert von den beiden Meistern eine genaue Kenntnis der menschlichen Sehgewohnheiten. Sie spielen mit den Grenzen der Realität – was ist Stein, was Körper? Ferner werden Vorbilder aus der Antike verändert und der Fokus auf den Höhepunkt des Geschehens gesetzt. Durch die Gefühle wird der Betrachter aktiv in das Geschehen miteinbezogen. Diese neuartige Ausdrucksweise sorgt in ganz Europa für Aufmerksamkeit – bis heute.

Adresse: Kunsthistorisches Museum Wien, Maria-Theresien-Platz, 1010 Wien

Öffnungszeiten: Montag bis Mittwoch sowie Freitag 9:00Uhr – 18:00Uhr sowie Donnerstag, Samstag und Sonntag 9:00Uhr – 21:00Uhr

Hier geht es zum Ausstellungs-Trailer:

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Siehe dir auch meinen Beitrag zum Heiligen Apollinaris von Ravenna an.

Bilderquelle: Kunsthistorisches Museum Wien, eigene Aufnahmen

 

Literatur:

  • Der Standard: Caravaggio und Bernini im KHM: Huren als Heilige und Beten mit schmutzigen Füßen (15.10.2019)
  • Karsten, Arne: Bernini. Der Schöpfer des Barocken Rom. Leben und Werk, München 2017.
  • Kunsthistorisches Museum Wien: Caravaggio & Bernini.
  • Lambert, Gilles: Caravaggio. 1571-1610. Ein Genie, seiner Zeit voraus, Köln 2015.
  • ORF Stories: Der Mörder und der Papstgünstling (15.10.2019)
  • Reclam: Kunst-Epochen. Barock, Stuttgart 2003.