Ein kühler Freitagmorgen, zwei Männer, je mit einem freien Tag, eine gemeinsame Idee: Ab nach Stuttgart ins Merces-Benz Museum. Nach einer gut zweieinhalbstündigen Fahrt, dem immer wieder eine (negative) Überraschung werten Filterkaffee auf der Autobahnraststätte unterwegs, kommen wir in Stuttgart an. Zunächst fällt uns auf, dass an unserer Windschutzscheibe ein essenzielles «Gimmick» fehlt: die Umweltplakette. Pflicht für jeden Besucher der deutschen Grossstadt. Eine kurze Frage an einer Tankstelle, woher man diese denn beziehen könne, gibt uns nur einen Aufschluss: Während die Vignette hierzulande sogar bei InterDiscount bezogen werden kann, schreitet Deutschland hier andere Wege.

Über Umwege zum Mercedes-Benz Museum

Ohne Vignette gelangen wir zu der originellen Mercedes-Strasse nur um zuerst in riesig grossen roten Lettern an einer Häuserfassade P O R S C H E zu lesen. Hat mich mein Navigator (das GPS ist bei Männerausflügen generell ausgeschaltet, Mann kennt ja den Weg) etwa in die Irre geführt? Rechts abgebogen und nach wenigen hundert Metern entdecken wir das Parkhaus P2. Wird schon stimmen, sind wir uns sicher und parken – aufgrund schlechten Gewissens wegen der nicht vorhandenen Umwelt-Plakette und nicht wissend, ob man bei der offen stehenden Schranke doch hätte ein Ticket beziehen sollen – auf der obersten Etage. Unten am Eingang erkennen wir, dass wir statt im Mercedes-Museum vor einem riesigen Sportstadion geparkt haben. Simultan das Handy gezückt und wortlos Google Maps geöffnet, stupsen wir uns gegenseitig gleichzeitig an: «Da vorne gleich rechts».

Wenige Minuten später entdecken wir ein modernes, in silbergrauer Farbe und mit viel Glas umschlungenes Gebäude mit der Aufschrift «Mercedes-Benz Museum». Soweit so gut. Ein halbes Dutzend Hostessen empfangen uns mit schriller Stimme: «Guten Morgen und herzlich willkommen im Mercedes-Benz Museum» – wir scheinen also am richtigen Ort angekommen zu sein. Mit frisch gedruckten Tickets in den Händen stolzieren wir automatisch in Richtung der ersten beleuchteten Fahrzeuge. Mit dem etwas zu lauten Zuruf «Guck mal, das sieht doch nach einem coolen Auto aus», lasse ich das gesamte Foyer wissen, dass ich vor einer Konzeptstudie stehe, welche die Serienproduktion nie erreichte oder im Fachjargon gesagt: keine fundierte Ahnung von der Palette der auch liebevoll als «Silberpfeil» benannten deutschen Premiummarke habe. Deswegen ist es an der Zeit den Aufzug nach oben zu nehmen, zum eigentlichen Museumseingang.

Historischer Aufbau – Von der Kutsche zum Formel 1 Rennwagen

Oben angekommen die erste Ernüchterung: Im vergleichsweise schummrigem Licht fällt mir zuerst ein Pferd auf. Die an der Seite angebrachte Aufschrift «bitte nicht berühren» erinnert mich daran, dass die Fortbewegungsmittel nicht angefasst werden sollten, und insbesondere von einer selbstbestimmten Einladung zur Sitzprobe tunlichst abgesehen werden sollte.

Einem kurzen Flur entlanggehend entdecken wir das erste Fahrzeug. Die in dunkelrot und schwarz gehaltene Farbe, die grossen Holzspeichenräder und die Form als Ganzes lassen mich annehmen, dass es sich hier um eine dreirädrige Kutsche handeln muss. Doch falsch gedacht: dieses kompakte, vergleichsweise hohe und aus heutiger Sichtweise mindestens so unpassend wie unförmig anmutende Gerät kann doch unmöglich das erste «Auto» darstellen? Und doch belehrt mich ein kleines Schild eines Besseren: 1885, 0.75 PS (0.55kW) Einzylinder-Viertaktmotor und Stahlrohrrahmen lassen mich verdutzt zurück. Hatte ich mehr erwartet oder einfach etwas anderes? Ich weiss es nicht, nur, dass ich wohl ahnungslos an dem Fahrzeug vorbeigelaufen wäre in der Suche nach einem «richtigen ersten Auto». Ich muss kurz innehalten und mir nochmals veranschaulichen, dass der Weg von der pferdegezogenen Kutsche hin zum Automobil uns zwar als Revolution beigebracht wurde, in der Realität jedoch eher eine schleichende Ablösung stattfand: Wie einige Informationen an den Wänden kundtun, stiess die Idee eines Verbrennungsmotors zur Verschiebung von Lasten zunächst – wie doch so viele andere Ideen auch – auf Abneigung: wenig praktisch, zu anfällig. Erst als die Ehefrau des Erfinders Carl Benz kurzerhand beschliesst dieses belächelte Gefährt alleine (der Legende nach ohne Wissens ihres Mannes) für einen 180 Kilometer langen Ausflug auszuleihen, welchen sie auch schadlos überstand, verstand die Welt: Dieses Gefährt ist kinderleicht zu bedienen und nicht fehleranfällig wie anfangs vermutet. Lediglich Apotheken (in welchen damals der Treibstoff gekauft wurde) wurden benötigt, um fortan mühelos und kinderleicht umherzukommen.

Tüfteln – Prototypen, Perfektionierung und die drei Elemente

Die Sammlung umfasst etliche weitere Prototypen und in Kleinstserie angefertigte Modelle, an denen Herr Carl Benz bis zur Jahrhundertwende ebenso tüftelte wie an den Motoren. Und wieder lernte ich etwas über die Automobilgeschichte, lag doch der Transport von schweren Waren eher im Vordergrund als der Personenverkehr. Nichtsdestotrotz entwickelten sich schon bald zu den Lastschleppern (später Lastwagen genannt) auch so genannte Limousinen, geführt von Kutscher, Chauffeur oder einfach Fahrer. Und zeitgleich, man ahnt es, stieg das Verlangen nach kleinen, selbstgelenkten «Herrenwagen». Doch hierzu später.

Mit immer grösseren Motoren und weiteren Erfindungen wie der Querlenkachse wurden die Automobile zunehmend perfektioniert. Freunde der Technik können im Museum die technischen Daten akribisch genau verfolgen. Wir schreiten an diversen, bestens erhaltenen und restaurierten Modellen in einem schneckenartigen Gang gemächlich auf die nächstuntere Etage. Dort erwarten uns auf Hochglanz polierte Wagen der 1920er Jahre, welche mich sofort in Tagträumen aus Zeiten Al Capones schwelgen lassen. Zu gerne hätte ich kurz Platz genommen und eine kleine Runde gedreht. Allmählich wird mir auch bewusst, dass Mercedes-Benz keine Mühe und Kosten gescheut hat, um eine immense Kollektion aufzubauen. Immer wieder gleitet mein Blick auch zu den Fenstern hinaus auf die immense, hinter dem Museum liegende Fabrik. Und plötzlich, noch immer vor mich hinträumend, berührt mein Kopf beinahe einen Flügel: In der Tat haben Daimler und Benz, die Pioniere des Automobils und Vorreiter der späteren Mercedes-Benz AG, ihre Motoren auch in Flugzeugen und Schiffen verbaut. Und so erfahre ich, dass der Ursprung des dreizackigen Sterns auf eben diese drei Elemente beruft: zu Lande, zu Wasser, zu Luft.

Spätestens die Modelle in den 1920 und 30er Jahre lassen mich rückblickend erkennen, welche Meilensteine in der Evolution der Automobilgeschichte bislang erfolgten: Aus der wackelig anmutenden Kutsche entstanden protzige, bequeme und endlos lange Fahrzeuge, welche zugegebenermassen an Komfort die heutigen Modelle – wenigstens visuell – zu übertreffen scheinen.

Es folgen die europäischen Kriegsjahre und eine zunehmende Verlagerung in die militärische Produktion. Bei der Bombardierung deutscher Städte und Fabriken wurde auch Mercedes-Benz nicht verschont, welche zu dieser Zeit dezentral und hauptsächlich von Bunkern aus weiter produzierte. Einige Luftaufnahmen zeugen vom Ausmass der Verwüstung; umso mehr erstaunt die Kollektion der hier vorgestellten Prototypen und seltenen Modellen.

Dank des folgenden Wirtschaftswunders konnte auch Mercedes spätestens ab den 1950er Jahren wieder vermehrt zivile Fahrzeuge produzieren und begann die Modelle in alle Ecken der Welt zu exportieren. Fernbusse, Ambulanzfahrzeuge und unzählige Spezialfahrzeuge wurden seither entwickelt, diese sind jeweils in einem separaten Raum auf den Etagen ausgestellt. Vom Papstmobil bis hin zu Konrad Adenauers Stretch-Limousine hat es für jeden Enthusiasten etwas dabei.

Modellweiterentwicklungen und Umweltbewusstsein

Ab den 1960er Jahren setzte sich dann die bis heute anhaltende dreier Konstruktion von Motorraum, Fahrkabine und Kofferraum durch, ein Trend, welcher bis heute anhält. Seither sind die Modellweiterentwicklungen dem nicht geschulten Auge nur noch durch vergleichsweise feine Nuancen zu erkennen oder immer neue Modellbezeichnungen. Spätestens ab den 1980er Jahren ausgestellten und damit den aus meiner Kindheit bekannten Modellen wird mir klar, dass die Weltmarke hier nur einen kleinen Teil seiner Produktionen ausgestellt hat. Vergleiche ich diese mit den aktuellen Fahrzeugen, so muss ich gestehen, dass sich an Farbe und Form nur noch wenig verändert hat. Vielleicht deshalb fahren gewisse Menschen noch immer die Uralt-S-Klasse und trotzen damit der heutigen Zeit von Navigationssystemen, Technik und Computerchips.

Der Fairnesshalber muss gesagt werden, dass trotz der ansteigenden Redundanz von Modellbezeichnungen – oder ist es doch des Autors allmählich einsetzende Müdigkeit – Mercedes weiterhin an etwas getüftelt hat, was dem Betrachter grösstenteils im verborgenen bleibt: Mit zunehmendem Umweltbewusstsein in der Bevölkerung wuchs der Bedarf nach ökologischeren Motoren und recyclebaren Verbundstoffen. So wurden die Motoren generell nicht mehr stärker aber kleinvolumiger. Die Fahrerkabinen dafür mit immer mehr Knöpfen, Anzeigen und schliesslich Displays versehen. Und so dreht sich der Gang auf die unteren Ebenen weiter, in welchem Wasserstoffautos, Konzepte und aktuelle Baureihen sich aneinanderschmiegen.

Das Beste zum Schluss – Silberpfeil und andere Rennwagen

Der Betrachter könnte nun meinen am Ende angelangt zu sein, doch der Schein trügt: Der vielleicht spektakulärste Ausstellungsteil, zumindest für alle technik- und rennsportaffinen Besucher, wird im untersten Geschoss präsentiert. Im Gegensatz zur restlichen Ausstellung folgen nun reinrassige Sportmodelle in achronologischer Reihenfolge auf einer dem Betrachter leicht zugewandten erhöhten Kurve. Von den silbernen Formel 1 Boliden über Rennlastwagen (ja, diese gibt es wirklich) und Rallyewagen werden wir Zeugen eines Gegentrends zu puristischen Autos ohne jedwede computergenerierte Unterstützung. Etwas verdutzt halten wir vor dem bekannten «Silberpfeil» inne, dank dem Mercedes heute noch immer standardmässig auf die silbergraue Farbe verweist. Um dieses Modell ranken sich mindestens so viele Mythen und Legenden wie Siege und Trophäen. Die technischen Daten (8 Zylinder, 5.7 Liter 592 PS, Baujahr 1937) geben Werte preis, welche den Betrachter aus heutiger Perspektive wiederum Tagträumen lassen von Freiheit, Geschwindigkeit und Risiko. Und es bleibt ein kleiner Rest von Neid, dass bereits vor über 80 Jahren mutige Fahrer in Lederanzügen hinter dem Steuer von PS-Boliden sassen, welche sogar heutige Sportautos alt aussehen lassen. Und je weiter wir voranschreiten, umso mehr nehmen die Zigarren förmigen Rennwagen der 20er- und 30-er Jahre plötzlich wieder Kutschenförmige Züge an. Ein lächeln fällt über meine Lippen als ich zu guter letzte vor dem «ersten» Rennwagen stehe: Ohne Dach, mit Holzrädern und einem Sitz, welcher mehr an ein Chesterfield-Sofa erinnert als ein Rennwagen-Sitz. Ich kann mir die Frage nicht verkneifen, ob denn dieses Gefährt gegen eine alte Vespa denn auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, und ernte wiederum misstrauische Blicke von anderen Besuchern.

Wer nun noch immer nicht genug Autos gesehen hat oder seinen Geldkoffer noch immer in der Hand hält, der möge frohen Mutes in den Museums-Shop oder die angrenzende Verkaufshalle schreiten, welche restlos alle aktuellen Modelle aufführt und zudem noch einige Raritäten für gut bis sehr gut Betuchte in petto hat. Während wir auf der Rückfahrt zwischen unbegrenzten Autobahnabschnitten vor uns hingleiten, träumen wir von einem Ritt im Silberpfeil.

 

Bilderquelle: Mercedes-Benz Museum, eigene Aufnahmen
Gastbeitrag von Yannick