Die Heiligenverehrung blickt auf eine lange Tradition zurück und beginnt vermutlich mit dem Gedenken an den Apostel Petrus im 4. Jahrhundert. Aufgrund ihrer Verdienste im Glauben werden die heiliggesprochenen Personen verehrt und um Fürbitte angerufen. Pünktlich zu Allerheiligen, dem Gedenktag aller bekannten und unbekannten Heiligen, stelle ich euch den Heiligen Apollinaris aus Ravenna vor.

Der Heilige Apollinaris von Ravenna

Apollinaris gilt als Gründer der christlichen Gemeinde in Ravenna und wird dort zum Bischof ernannt, bevor er einen Märtyrertod um 75 n. Chr. stirbt. Sowohl um sein Leben und Wirken als auch um sein Martyrium ranken sich viele Legenden. Er wird in Classe bei Ravenna begraben und im Jahr 549 entsteht neben seinem Grab die ihm geweihte Basilika Sant’Apollinare in Classe. Die Apsis der Basilika zeigt die älteste bekannte Darstellung des Heiligen aus dem 6. Jh.. In den Glasfenstern der Kathedrale von Chartres sind Szenen aus dem Leben des Heiligen zu sehen.

Seine Attribute sind ein Buch und ein (Bischofs-)Stab. Manchmal wird er auch mit der Keule dargestellt, mit der er erschlagen wurde – so die Legende. In der Kunst wird der Märtyrer Apollinaris oft in weissem Gewand und (schwarzem) Kreuz abgebildet. In der Basilika S. Apollinare in Classe wird der Heilige unterhalb eines grossen Kreuzes gezeigt. Er steht mit ausgebreiteten Armen da und nimmt die Haltung eines Oranten ein. Der Nimbus (Heiligenschein) auf seinem Kopf weist ihn als Heiligen aus. Links und rechts von Apollinaris sehen wir je sechs Schafe.

Das Apsis Mosaik der Basilika S. Apollinare in Classe

Das Apsis-Mosaik in der Basilika ist in seiner Deutung jedoch um ein Vielfaches komplexer als man ahnt. Die obere Szene verweist nämlich auf die Transfiguration (Verklärung) Christi. Christus führt die Apostel Petrus, Jakobus und Johannes auf einen Berg, verwandelt sich vor ihren Augen und führt ein Gespräch mit den beiden Propheten Moses und Elias. Letztere werden links und rechts des grossen Kreuzes dargestellt. Die Hand oberhalb des Kreuzes symbolisiert die Anwesenheit Gottes. Unterhalb des Kreuzes veranschaulichen die drei Schafe die drei oben genannten Apostel, wobei Petrus als Ranghöchster rechts vom Kreuz abgebildet ist. Das Kreuz selbst ist Symbol des verklärten und verwandelten Christus.

Unmittelbar vor der Verklärung kündet Christus seine Wiederkunft an. Dies begründet nun die Anwesenheit des Heiligen Apollinaris, welcher als Märtyrer beim Weltgericht die Bitte um die Rettung der Gläubigen vorträgt. Aufgrund ihrer Anzahl lassen die zwölf Schafe auf die Apostel schliessen. Eine Herde von Schafen kann jedoch auch eine Gemeinde von Gläubigen verkörpern. Über dem Kreuz ist das Akrostichon IXΘYΣ (ichthys) zu sehen, welches auf den Titel Christi – Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser – verweist. Alpha und Omega stehen für den Anfang und das Ende.

Einzigartig am Mosaik von S. Apollinare in Ravenna ist jedoch die Verbindung verschiedener Raum- und Zeitschichten, denn der Hl. Apollinaris blickt frontal aus dem Bild und somit auf uns zu. Er nimmt quasi Kontakt auf zur Gemeinde der Gläubigen, die sich vor ihm versammelt hat. Der Heilige fungiert einerseits als Mittler zwischen Gemeinde und Gott, andererseits als Fürbitter für die im Kirchenraum präsenten Personen und für die zwölf Schafe.

Begriffserklärung Orans oder Orante: Eine Person, meist frontal abgebildet, mit erhobenen Armen und gut sichtbaren Handinnenflächen. Es ist ein Ausdruck der Pieta bzw. der Frömmigkeit. Die Haltung wiederspiegelt die Darstellung des Kreuzes und somit die Angleichung an Christi. Vielfach werden Märtyrer als Oranten abgebildet.

Gerne möchte ich euch zum Schluss noch auf dieses Video aufmerksam machen, welches neben der Erklärung des Freskos zusätzlich noch die Entstehungsgeschichte der Basilika Sant’Apollinare in Classe aufzeigt.

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Literatur

  • Büttner, Frank/Gottdang, Andrea: Einführung in die Ikonographie. Wege zur Deutung von Bildinhalten, München 2006.
  • Jäggi, Carola: Ravenna. Kunst und Kultur einer spätantiken Residenzstadt. Die Bauten und Mosaiken des 5. und 6. Jahrhunderts, Regensburg 2013.
  • Poeschel, Sabine: Handbuch der Ikonographie. Sakrale und profane Themen der bildenden Kunst, Darmstadt 2009.
  • Riese, Brigitte: Seemanns Lexikon der Ikonographie. Religiöse und profane Bildmotive, Leipzig 2007.

Bilderquelle: Basilika Sant’Apollinare in Classe, eigene Aufnahmen