Die Darstellung einer Maria lactans, auch stillende Gottesmutter oder Galaktotrophousa genannt, ist keine Neuentdeckung des Christentums, vielmehr eine christliche Re-Interpretation des seit Jahrtausenden bekannten Themas des Stillens. Bereits die Ägypter stellten die Göttin Isis stillend dar. Diese ägyptischen Illustrationen könnten somit auch als Vorbild für die Darstellung einer Maria lactans gedient haben.

Der griechische Begriff Galaktotrophousa heisst übersetzt «die Milchnährende». Und genau dies wird in Abbildungen zu Maria lactans dargestellt – Maria reicht dem Jesuskind ihre Brust. Im 20. Jahrhundert haben solche Darstellungen für viele Debatten gesorgt, sowohl archäologisch als auch kunsthistorisch.

Als ich das erste Mal eine Maria lactans gesehen habe, war ich geschockt – nicht von der Tatsache, dass Maria stillt, sondern weil Maria völlig unproportioniert dargestellt wird – hat denn der Maler noch die eine Frau gesehen oder warum sitzt Marias Brust am Schlüsselbein oben? Vielleicht liegt es daran, dass das Thema vor allem in der östlichen Ikonenmalerei eher scheu behandelt wurde, obwohl zu hellenistischen Zeiten eine ihr Kind stillende Mutter ein beliebtes Motiv des Genrebildes war.

Es drängt sich nun die Frage auf, ob die Maler sich auf ein Vorbild stützten. Hier steht der geographische und ikonographische Ursprung im Mittelpunkt. Ist die Maria lactans ägyptischen oder oströmischen Ursprungs? Diente die ägyptische Göttin Isis, die den Horus-Knaben stillt, als Vorbild für koptische Maria lactans Darstellungen? Leider lassen sich diese Fragen nicht eindeutig beantworten. Fest steht hingegen, dass im Altertum die Darstellung von Maria als Galaktotrophousa vor allem in Ägypten und in Griechenland verbreitet war. Eine der frühesten Abbildungen ist auf einem Fresko aus dem 3. Jh. in der Priscilla-Katakombe in Rom zu finden. Die milchspendende Mutter erscheint als koptische Ikone. Das Thema der stillenden Gottesmutter wird somit im Rahmen des Christentums aufgenommen und neu interpretiert.

Später wird die Lactans-Motivik erweitert und es entstehen beispielsweise Wallfahrts-Brunnen wie Mariahilf ob Passau, in denen das Wasser durch die Brüste einer Marienfigur geleitet wird. Symbolisch ist somit die göttliche Milch Marias für alle Pilgern erreichbar. So kommt es, dass auch werdende Mütter oder Frauen mit Problemen beim Stillen diese Brunnen aufsuchen oder ein entsprechendes Ikonenbild anbeten.

In Byzanz hatte der Bildtypus der stillenden Gottesmutter noch eine weitere Bedeutung: Christus nimmt als Gottessohn über die Brust der Mutter Kontakt mit der Menschheit auf. Dies spielt auch vereinzelt in Darstellungen des Jüngsten Gerichtes eine Rolle, in denen Maria Christus ihre nackte Brust zeigt, um ihn daran zu erinnern, dass auch er einmal gesäugt wurde und deshalb mit Milde urteilen soll.

Nun stellt sich die Frage warum gerade in der heutigen, modernen Zeit stillende Mütter in der Öffentlichkeit die Gemüter erhitzen, nachdem dieser natürliche Vorgang schon seit tausenden von Jahren dargestellt wird. Aber das ist eine andere Diskussion.

Bilderquelle: Eigene Aufnahmen: Kunsthistorisches Museum Wien und Castello della Manta in Saluzzo. Kupferstich: Graphische Sammlung ETH Zürich. Siehe Bildbeschreibungen.

Siehe dir auch meinen Beitrag zum Heiligen Nikolaus an.

 

Literatur

  • Eich, Paul: Die Maria Lactans: Eine Studie ihrer Entwicklung bis in das 13. Jh. und ein Versuch ihrer Deutung aus der mittelalterlicher Frömmigkeit, Frankfurt a.M. 1953.
  • Groiss, Franz: Maria lactans: die Stillende in Kunst und Alltag, Wien 2010.
  • Langener, Lucia: Isis lactans – Maria lactans: Untersuchungen zur koptischen Ikonographie (Arbeiten zum spätantiken und koptischen Ägypten, 9), Altenberge 1996.
  • Onasch, Konrad/Schnieper, Annemarie: Ikonen. Faszination und Wirklichkeit, Freiburg im Breisgau 1995.