Berühmt geworden ist Ambrogio Lorenzetti vor allem dank seinem Freskenzyklus im Rathaus von Siena über die Allegorie der guten und schlechten Regierung. Hauptsächlich in der Fresko- und Tafelbildmalerei beweisen die Brüder Ambrogio und Pietro Lorenzetti grossen Einfallsreichtum und setzen auf neue perspektivische Kompositionen, die begeistert aufgenommen und nachgeahmt werden. Naturalistische, realitätsnahe und dreidimensionale Darstellungen – das sind die neuen Anforderungen an die Kunst des Trecento in Italien, also des 14. Jahrhunderts. Erstmals seit der Antike werden wieder Landschaften gezeigt. All diese Neuerungen setzt Ambrogio Lorenzetti gekonnt um und dient als Vorbild für nachfolgende Generationen. In diesem Beitrag gehe ich auf das Leben des Künstlers ein, wobei ich mich unter anderem auf die Dissertation von Dagmar Schmidt stütze.

Ambrogio Lorenzetti: Kindheit und Jugend in Siena

Über das Leben von Ambrogio Lorenzetti gibt es nur sehr wenige Angaben. Sein erster Biograph, der Florentiner Bildhauer Lorenzo Ghiberti, der um 1420 die Kunst des 14. Jahrhunderts in Italien kommentiert, erweist ihm aber besondere Anerkennung. Er nennt ihn famosissimo, singularissimo und perfectissimo maestro und einen huomo di grande ingegno, einen Mann grosser Erfindungsgabe, der äusserst produktiv gewesen sei. Ghiberti sieht in Ambrogio Lorenzetti den grössten Sienesen des Trecento.

Geboren ist Ambrogio Lorenzetti in Siena um das Jahr 1295. Sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt. Von den Eltern und Geschwistern ist nichts bekannt ausser seinem Bruder Pietro, der später ebenfalls als angesehener Maler Erfolge feiert. Bei Pietro, der rund 15 Jahre älter ist, sammelt Ambrogio die ersten Erfahrungen. Später, nachdem er einen eigenen Namen erlangt hat, werden die Brüder Seite an Seite in Siena als Meister tätig sein. Die erste datierte Altartafel, die Ambrogios künstlerisches Schaffen beweist, stammt aus dem Jahr 1319.

Florierende Städte begünstigen die künstlerische Schaffenskraft

Der junge Künstler erlernt sein Malerhandwerk zu einer Zeit, in der innovative Ideen in der italienischen Kunst gefördert werden. Städte wie Siena florieren im 14. Jahrhundert dank dem Handel und einem reichen Bürgertum, so dass eine grosse Nachfrage auf dem Kunstmarkt entsteht. Bildhauer und Maler zieht es in die Städte. In dieser lebhaften Umgebung entwickeln sich in Norditalien neue Stilrichtungen und neue Bildmedien. Einerseits veranlasst der Bau von Kirchen, öffentlichen und privaten Palästen das Verlangen nach Skulpturen- und Bilderschmuck. Andererseits bringt der Zuwachs der urbanen Bevölkerung neue Denkweisen hervor, wodurch die Künstler anregt werden, nach neuen Bild- und Formentypen zu suchen. Es entwickeln sich in der Kunst naturalistisch geprägte Darstellungsweisen, die dem Betrachter auch die menschlichen Gefühle der dargestellten Akteure vermitteln und somit den Fokus auf den Einbezug von Emotionen setzen.

Neue Stilrichtungen – Förderung von nicht-religiösen Motiven

Ausserdem gewinnt die politische Gemeinschaft, der Bürger und die Kommune an Bedeutung. Im 14. Jahrhundert ist die Bevölkerung von Siena zwar stark religiös geprägt, jedoch vollzieht sich gleichzeitig ein Säkularisierungsprozess der gesellschaftlichen Einrichtungen. In der Politik und der Verwaltung nehmen die Bürger bzw. die Beamten eine immer wichtigere Stellung ein und nehmen dabei auch Einfluss auf Bereiche der Kirche. Dies fördert die Entstehung von Darstellungen neuer, nicht-religiöser Motive. Ambrogio Lorenzettis Heimatstadt Siena ist dabei besonders ehrgeizig.

Im Umfeld des frühen Trecento in Siena wird Ambrogio Lorenzettis ideenreicher Geist sehr gelobt. Doch der künstlerische Erfolg gelingt ihm zuerst nicht in seiner engeren Heimat, sondern in der Nachbarstadt Florenz. Dort schafft er es, die Öffentlichkeit mit seiner reichen Erzählkunst zu faszinieren und hinterlässt erst danach Spuren in Siena. Am Anfang seiner Laufbahn sind seine Aussichten in Siena nicht gerade rosig, denn der sienesische Kunstraum wird zu Beginn des 14. Jahrhunderts von Duccio und Simone Martini dominiert. Ambrogio Lorenzetti trifft deshalb die Entscheidung, Siena zu verlassen. Im Alter von etwa 24 Jahren, also etwa im Jahr 1319, befindet sich der Künstler in der Nähe von Greve in Chianti – eine Kleinstadt unter der Herrschaft von Florenz, wo er vereinzelt Aufträge erhält. Acht Jahre später, im Jahre 1327, wird er erstmals als Meister in einer Florentiner Zunft erwähnt. Der Auftrag – vermutlich ein Polyptychon – für die Kirche San Procolo im Jahr 1332 verschafft Lorenzetti seinen ersehnten künstlerischen Durchbruch. Danach erhält der Maler vermehrt grosse Aufträge – er ist nun 37 Jahre alt. Sein Erfolg führt ihn wieder in seine Gemeinde Siena zurück.

Grösster Auftrag: Fresken im Palazzo Pubblico

Dort beginnt sich die Stadtverwaltung als Auftraggeberin für ihn zu interessieren. Der Chronist Agnolo di Tura del Grasso berichtet, dass der Künstler im Jahr 1337 den Palazzo Pubblico von Siena mit römischen Geschichten dekoriert haben soll, welche leider verloren gingen. Im April 1338 beginnt er schliesslich mit den Fresken über die gute und die schlechte Regierung im rechten Flügel des Hauptgebäudes. Weitere Aufträge, teilweise ebenfalls für den Palazzo Pubblico, folgen. Im Jahre 1348 wütet die Pest in Siena und weniger als die Hälfte der Einwohner der Stadt entrinnen dem schwarzen Tod. Da danach keine Angaben mehr über die Brüder Lorenzetti existieren, geht man davon aus, dass die Seuche auch die beiden Meister mit ins Grab genommen hat. Doch der innovative Geist der beiden Künstler bleibt lebendig, denn vor allem Ambrogio hat sich an neue Darstellungsweisen gewagt, die erst rund 100 Jahre später wieder von den grossen Künstlern der Renaissance aufgegriffen werden.

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Neuer Fokus: Natur, Raumdimensionen und realistische Darstellungen

Lorenzetti schlägt in der Auseinandersetzung mit Motiv und Raum neue Wege ein, die ihn rückblickend schon aus der Sicht des frühen 15. Jahrhunderts zum ideenreichsten Maler der Generation nach Giotto werden lassen. Seinen Schwerpunkt legt er auf die Erforschung des Raumes. Die Erzeugung von Raumillusion mittels suggerierter Dreidimensionalität und die realistische Wiedergabe von Details sind ihm ein grosses Anliegen. Er wird deshalb nicht nur von Ghiberti, sondern später auch von Giorgio Vasari gelobt. Ghiberti ist unter anderem von seinem erzählerischen Talent, seiner lebhaften Darstellungsweise und seinem Ideenreichtum begeistert. Lorenzetti stellt zudem wieder das Panorama einer Stadt und einer Landschaft dar, was kein Maler seit der Antike gewagt hat. Ein Beispiel dafür sind die oben erwähnten Fresken über die gute und die schlechte Regierung im Palazzo Pubblico von Siena.

Adresse: Piazza del Campo, 1, 53100 Siena SI, Italien
Öffnungszeiten: 10 – 18Uhr

In diesem Video erfährst du mehr über die Stadt Siena zur Zeit des Trecento sowie über die Fresken von Lorenzetti im Palazzo Pubblico:

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Siehe dir auch meinen Beitrag zu Raffael da Urbino an.

Bilderquelle: Eigene Aufnahmen, Siena sowie einzelne Museumswebsiten (Copyright siehe Bildbeschriftungen)

 

Literatur

  • Frugoni, Chiara: Pietro und Ambrogio Lorenzetti. In: Die grossen Künstler Italiens. Von der Gotik bis zur Renaissance. Duccio, Giotto, Simone Martine, Pietro und Ambrogio Lorenzetti, Masaccio, Fra Angelico, Filippo Lippi, Benozzo Gozzoli, Florenz 2003, S. 245 – 325.
  • Schmidt, Dagmar: Der Freskenzyklus von Ambrogio Lorenzetti über die gute und die schlechte Regierung. Eine danteske Vision im Palazzo Pubblico in Siena, Dissertation, St. Gallen 2003.
  • Zimmermann, Klaus: Florenz. Kirchen, Paläste und Museen in der Stadt der Medici, Ostfildern 2006.
  • Torriti, Piero: Siena. Geschichte und Meisterwerke, Florenz 2000.