Zeitlebens ist Henri Matisse ein umstrittener Künstler, aber ebenso ein Erfolgreicher. Er beeinflusst Maler wie Mark Rothko, Jackson Pollock und Roy Lichtenstein. Seine Rezeption dauert bis heute an. Matisse arbeitet mit vielen unterschiedlichen Stilen; sucht Kontraste und Gegensätze. Ein Aspekt geht jedoch häufig verloren: Matisse als Bildhauer. Mit der aktuellen Ausstellung vervollständigt das Kunsthaus Zürich sein Oeuvre.

Matisse: Experimentierfreudig und revolutionär

Henri Émile Benoît Matisse (1869-1954), bereits zu Lebzeiten als Revolutionär bekannt, gehört zu den Hauptvertretern des sogenannten Fauvismus. Aus der Antiposition zum Kubismus und der Loslösung vom Impressionismus inszeniert er im Jahr 1905 zusammen mit André Derain und Maurice de Vlaminck die Gegenbewegung, den Pariser Fauvismus, in einer unabhängigen Ausstellung des Salon d’Automne (Herbstsalon).

Als Wegbereiter der ersten künstlerischen Bewegung des 20. Jahrhunderts legt der Künstler zunächst den Fokus auf reine Farben, vereinfachte Formen und einen flächenhaften Auftrag der Objekte, wendet sich aber bald schon wieder davon ab. 1908 gründet er eine eigene Malschule. Während einer Reise nach Marokko entdeckt Matisse das Arabeske und experimentiert in den Kriegsjahren mit kubistischen Formen. Ist Matisse heutzutage vor allem als Maler und für seine ScherenschnittePapiers découpés») bekannt, wissen nur wenige, dass er auch als Bildhauer tätig war. Diesen Aspekt nimmt das Kunsthaus Zürich mit der Ausstellung Matisse – Metamorphosen (30.08.-08.12.19) auf und zeigt uns einige seiner wichtigsten Skulpturen.

Metamorphosen – die Verwandlung der Werke von Matisse

Bei dem Wort Metamorphosen kommt mir natürlich zuerst der römische Dichter Ovid in den Sinn, der in seinen 15 Büchern unter anderem die römische und griechische Mythologie in Versform beschreibt. Das Wort selbst wird übersetzt mit Verwandlung, was sehr passend ist für die Werke von Matisse, wie wir gleich sehen werden. In der Ausstellung werden nämlich Bronze-Statuen in verschiedenen Zuständen (Entwicklungsschritten) zusammen mit Inspirationsquellen des Künstlers gezeigt, so beispielsweise afrikanische Figuren und Aktfotografien.

Sehr vereinfacht formuliert sieht der Arbeitsprozess von vielen Matisse-Werken wie folgt aus: Hinzufügen – Wegnehmen – Hinzufügen – Wegnehmen etc. Will heissen, er verändert seine Werke konstant bzw. sie sind eben einem Wandel (oder einer Verwandlung) ausgesetzt, gleichsam einer Metamorphose. Sehen seine Kunstwerke zunächst sehr real aus, werden sie durch weitere Bearbeitungen abstrahiert. Ausgehend von einer Naturform verändert Matisse seine Figuren innerhalb verschiedener Zeitabstände und wandelt sie in eigene, abstrahierte Kunstformen ab. Einige Werke bleiben dabei singulär. Diesen Schichtarbeitsvorgang wendet Matisse nicht nur bei Skulpturen, sondern auch bei Gemälden und Zeichnungen an. Insgesamt beläuft sich das plastische Oeuvre von Matisse auf circa 80 Werke.

Die Ausstellung: Matisse – Metamorphosen

Als Erstes zeigt uns das Kunsthaus Zürich Skulpturen von Rodin, Bourdelle und Maillol, an denen sich Matisse für seine Werke inspirieren liess. Die oben erwähnte radikale Stilisierung sehen wir vor allem in den Bronzereliefs «Nu de dos I-IV» oder in den Büsten «Jeannette I-V». Als Vergleich zu seinen plastischen Arbeiten dienen diverse Gemälde und die Papiers découpés von Matisse. Wir entdecken dabei, dass Matisse selbst den Prozess der Verwandlung penibel dokumentiert und in Fotografien festhält (z. B. «Nature morte au coquillage sur marbre noir», 1940). Insgesamt sehen wir über 70 Werke, wobei die Ausstellung begleitet wird von historischen Fotografien, Filmen (Henri Matisse, un grand peintre français, 1946 von François Campaux) und Zeitschriften. Letztere nutzt Matisse für sein intensives Studium von fotografischen Vorlagen.

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Eine nähere Untersuchung offenbart zudem, warum dieser Entstehungsprozess der Verwandlung und die Dokumentation derselben wichtig war für Matisse. Durch die Gegenüberstellung der afrikanischen Plastiken erkennt man, dass diese in seinen Schöpfungsprozess eingeflossen sind, neben seiner Auseinandersetzung mit der Kunst der Antike und der Renaissance. Allein für die Bronzereliefs «Nu de dos I-IV» braucht Matisse mehr als 20 Jahre zur Fertigstellung. Wir erkennen dadurch, wie intensiv sich der Künstler mit dem Verwandlungsprozess auseinandergesetzt hat. Gleichzeitig wird uns bewusst, dass die Reliefs keine Serie darstellen, auch wenn sie als solche präsentiert werden. Jede Skulptur steht zwar im Zusammenhang mit den anderen Werken, ist jedoch in sich autonom.

Das Kunsthaus Zürich hat für die Ausstellung Leihgaben aus aller Welt erhalten, den grössten Teil jedoch vom Musée Matisse in Nizza, welches die Ausstellung anschliessend übernehmen wird (15.2.-15.5.2020).

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Die Ausstellung erinnert mich daran, Matisse nicht nur als Maler zu sehen, sondern als vielfältiger Künstler, der auch plastische Arbeiten erstellt hat. Dadurch habe ich eine andere, mir unbekannte Seite von Matisse kennen gelernt. Spannend finde ich zudem, dass der Künstler sich bewusst beim Modellieren seiner Skulpturen fotografieren lässt und so den Schaffensprozess in einem anderen Medium festhält und zusammen mit den dazugehörigen Werken öffentlich ausstellt.

‘Hässlich’ oder ‘plump’ denkst du dir vielleicht bei der einen oder anderen Skulptur von Matisse. Doch der Künstler hat seine Plastiken eigentlich nicht für uns Betrachter geschaffen, sondern für seinen privaten Gebrauch – obwohl er die eine oder andere Figur auch in seine Ausstellungen ‘schmuggelte’. Trotz der starken Deformation seiner Skulpturen finde ich, dass sie ungemein lebendig und ausdrucksstark wirken. Fast möchte man danach greifen und selbst das Material mit den eigenen Händen weiter verformen.

Wenn du noch mehr über Matisse und die Fauves wissen willst, gibt dieses Video einen kurzen Einblick:

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Sieh’ dir auch meinen Beitrag zu Robert Delaunay an, welcher als Vertreter der ‘reinen’ Malerei in der Kunstform des Kubismus gilt.

Bilderquelle & Copyright: Kunsthaus Zürich, eigene Aufnahmen sowie Fondation Beyeler (Jeanette IV)

 

Literatur

  • Thomas, Karin: Bis heute. Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert, Köln 2000.
  • Kunsthaus Zürich (Website und Mitglieder-Magazin 3/Juli 19, S. 10-17)