Das Loire-Tal: Die Schlösser der Loire zu sehen, stand schon lange auf meiner Wunschliste und nach über zwei Jahren Reisepause aufgrund von Corona war ich richtig reisedurstig. Perfekt also für ein dicht gepacktes, achttägiges Kulturprogramm. In meinem dreiteiligen Blogbeitrag besuchen wir prunkvolle Schlösser und prächtige Kirchen; schwärmen von guter französischer Küche und von noch besseren französischen (Süss-)Weinen; träumen von imposanten Schlossgärten, versteckten (Lust-)Kammern, schwindelerregenden Wendeltreppen, fauchenden Drachen und erzählen von edlen Damen, die Königen den Kopf verdrehen und gleichzeitig neue Modetrends setzen – Willkommen an der Loire.

Die historische Bedeutung des Loire-Tals zeigt sich schon am Reichtum der Baustile. So waren Chartres, Orléans und Tours ursprünglich keltische Siedlungen. In einigen Kirchen, so beispielsweise in Angers, gibt es noch merowingische Grabmäler oder sogar einen Menhir zu entdecken. Viele Schlösser, die ihren Ursprung im Mittelalter haben, wurden im Laufe der Zeit umgebaut und renoviert, so dass aus feudalen Wehrburgen elegante Lustschlösser entstanden sind; aus Wachtürmen schmucke Ziertürme, aus Wehrgräben romantische Teichanlagen und aus Waffenlager exquisite Wohnräume. Nicht wenige Loire-Fürsten machten dem König die Macht streitig und einige Loire-Geschlechter brachten ihre Söhne auf den Königsthron. Reichtum, Macht, Intrigen, Kriege um Religion, Land, Ruhm und um Frauen – die Geschichte des Loire-Tals und ihrer Schlösser ist so spannend und vielfältig wie ein moderner Krimi. Lasst uns eintauchen in die Highlights des Loire-Tals.

Im ersten Teil besuchen wir die beiden imposanten Kathedralen von Chartres und Le Mans, bestaunen die Fachwerkhäuser von Angers und den Teppich der Apokalypse, bevor wir die Geheimfächer auf Schloss Serrant entdecken. In Cunault und in der Abtei Fontevraud ergötzen wir uns an den gotischen Figuren. Als Ausklang geniessen wir im Schloss Montreuil Bellay die Aussicht mit einem Gläschen Hauswein.

Tag 1: Chartres und Le Mans

Cathédrale Notre-Dame de Chartres: Der Weg vom Parkplatz führt über malerische Gässchen direkt hin zur Kathedrale Notre-Dame von Chartres. An dieser Kirche fasziniert mich einfach alles. Ich könnte tagelang jedes Detail entdecken und alle Wasserspeier fotografieren. Die Cathédrale Notre-Dame de Chartres ist bis heute eine wichtige Wallfahrtskirche. Die ursprünglich romanische Kathedrale (Baubeginn 1020) fällt 1194 einem Brand zum Opfer und wird danach im gotischen Stil wieder aufgebaut. In nur 25 Jahren entsteht eines der prächtigsten gotischen Werke, welches weder durch die Religionskriege noch durch die Revolution Schaden genommen hat. Die Weihung findet im Jahr 1260 statt. Danach erfolgen nur noch wenige bauliche Ergänzungen. Das Längsschiff erreicht die Breite der romanischen Krypta und die ungewöhnliche Höhe von 37.5 Metern. Die untere Partie der Westfassade bleibt vom Brand verschont und stammt somit noch aus dem 11. Jahrhundert. Der höhere der zwei Haupttürme erhebt sich im spätgotischen Flamboyantstil (16. Jh.).

Die Kathedrale von Chartres ist vor allem für zwei Architekturelemente bekannt: Das Königsportal an der Westseite der Kathedrale sowie die Buntglasfenster, insbesondere das westliche Rosettenfenster sowie die drei Fenster an der Westfassade. Das mittlere Tympanon am Königsportal zeigt die Majestas Domini. Christus sitzt als Richter des Jüngsten Gerichts in der Mandorla und ist umgeben von den vier Evangelisten in Tiergestalt. Auf dem Türsturz sind die Apostel zu erkennen und in der Archivolte unter anderem die «Ältesten» des Jüngsten Gerichtes. Das rechte Portal zeigt im Tympanon die Menschwerdung Christi. Im linken Portal wird die Himmelfahrt Christi dargestellt. Die Portale sind reich verziert, so zeigen beispielsweise die lang gestreckten Figuren am Königsportal Figuren aus dem Alten Testament. Beim genaueren Hinsehen entdeckt man zahlreiche Details und man erkennt, dass die Baumeister durchaus Humor hatten. Haare, Kleidung und Schmuck sind genauso fein ausgearbeitet wie Kröten, Drachen und fantasievoll gestaltete Monsterwesen.

Die Buntglasfenster der Kathedrale sind weltweit bekannt, zumal die blaue Farbe bis heute nicht reproduzierbar ist. Zwischen 1210 und 1240 stiften Zünfte diese rund 150 Fenster, in welchen biblische Erzählungen und das Alltagsleben des 13. Jh. abgebildet werden. Während den beiden Weltkriegen wurden die Fenster ausgelagert und in den letzten Jahrzehnten ausgebessert und restauriert. So besitzt Chartres heute unter allen gotischen Kathedralen den grössten Bestand an erhalten gebliebenen Originalfenstern, welche insgesamt eine Fensterfläche von 2600m² überspannen. In der westlichen Rosette von 1215 wird Christus am Tag des Jüngsten Gerichtes dargestellt. Die drei Buntglasfenster an der Westfassade (12. Jh.) gehören zu den ältesten Fenstern der Kirche und haben den Brand von 1194 überstanden. Sie zeigen die Wurzel Jesse, die Fleischwerdung und die Passion und Auferstehung.

Bemerkenswert ist auch das Labyrinth im Boden des Längsschiffes aus dem 13. Jh. Pilger dürfen bis heute den Irrgarten auf Knien abrutschen. Bei einer Strecke von 262 Metern und elf unterbrochenen Kreisen dürfte das eine gute Stunde dauern. Ich habe mir vorgenommen, es nächstes Mal zu probieren 😉

Cathédrale Saint-Julien du Mans: Auch die hügelige Altstadt von Le Mans beeindruckt mit ihren romantischen Gässchen. Fachwerkhäuser aus dem 15. und 16. Jh. sowie Renaissancevillen und eine gut erhaltene römische Stadtmauer gibt es zu entdecken. Le Mans ist vor allem bekannt durch das 24-Stunden-Autorennen (24 Heures du Mans). Doch neben schnellen Autos gibt es eine prächtige Kathedrale zu entdecken. Hier vereinen sich Romanik (Langhaus) und Gotik (Chor) einmal mehr in ihren schönsten Formen. Besonders die mächtigen Strebepfeiler und – du ahnst es bestimmt schon – die kreativ gestalteten Wasserspeier haben es mir angetan. Die Bauschule der Kathedrale von Le Mans stand in Konkurrenz zu derjenigen von Chartres. Beim Betreten der Kirche fällt jedoch nicht nur das imposante Strebewerk auf, sondern auch der prähistorische Menhir an der Westfassade. Wie Chartres ist auch die Kathedrale St-Julien von Le Mans für ihre im aussergewöhnlichen Umfang erhalten gebliebenen Glasfenster bekannt. Das Fenster am Südseitenschiff ist das älteste Fenster des Doms (um 1120) und stellt die Himmelfahrt Christi dar. Die Legenden des Heiligen Julian werden im grossen Fenster der Westfassade gezeigt (um 1165). Während die Fenster am unteren Chorumgang noch Einflüsse aus der Kathedrale von Chartres zeigen, sieht man in den Fenstern des Obergadens bereits eine Anlehnung an die Sainte-Chapelle in Paris. Beeindruckend und eine Seltenheit ist auch die Gewölbeausmalung der Marienkapelle (um 1380). 47 musizierende Engel mit ihren Noten und Instrumenten schweben auf dem roten Grund des Gewölbes. Auf einigen Kapitellen des Langhauses finden sich sogar noch Farbresten. Sowohl am Südportal als auch im Inneren des Chorseitenschiffes sind die typischen Zickzackbänder und Bogenverzierungen der Normannen zu finden – sie stammen aus der Zeit der normannischen Gotik. Diese Elemente sieht man sehr oft in Nordfrankreich bzw. in der Normandie.

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Tag 2: Angers und Schloss Serrant an der Loire

Einst eine mächtige Festungsstadt unter dem Herrscherhaus Plantagenêts (12. Jh.) in einem Reich, welches sich bis Schottland erstreckte, ist Angers heute eine Universitätsstadt mit Boulevards zum Flanieren und ruhigen, mittelalterlichen Gässchen mit schönen Fachwerkhäusern. Der Fluss Maine teilt die Stadt in zwei Hälften – am östlichen Flussufer befindet sich der älteste Stadtteil und das Château d’Angers, welches den kostbaren Wandteppichzyklus der «Apokalypse» hütet.

Château d’Angers: Das Schloss Angers beeindruckt von aussen vor allem durch seine mächtigen Trommeltürme und Blendmauern. Der erste Graf von Anjou lässt sich im 9. Jh. hier nieder, um dem Sturm der Normannen zu trotzen. Die gewaltige mittelalterliche Festung entsteht im 13. Jh. für die Sammlung der königlichen Truppen. In den nächsten zwei Jahrhunderten führen Herzöge und Könige im Schutz der Schlossmauern ein schillerndes Hofleben, bevor die Festung gegen Ende des 16. Jh. in ein Gefängnis und in einen Stützpunkt der Armee umgewandelt wird. Dabei werden auch die Dächer der 17 Türme abgetragen, um Platz für die moderne Artillerie zu schaffen. Im elf Meter tiefen Wallgraben befindet sich heute kein Wasser mehr, sondern geometrische Blumenbeete. Auf den breiten Mauern des Wehrganges lässt sich übrigens wunderbar spazieren gehen und es eröffnet sich eine schöne Aussicht auf die Stadt und deren Umgebung. Der Blick ins Innere der Schlossmauern zeigt, dass es den Herrschern an nichts fehlte – die Gärten beinhalten nicht nur Heil- und Gewürzpflanzen, sondern auch Weinreben.

Der wichtigste Schatz des Schlosses ist der Wandteppichzyklus der Apokalypse. Es handelt sich hierbei um das älteste Wandteppichensemble dieser Grösse (103m heute, ursprünglich über 140m), das heute noch existiert. Der Teppich wurde 1375 vom Herzog Louis I. von Anjou in Auftrag gegeben und innerhalb von 7 Jahren fertiggestellt (also innerhalb sehr kurzer Zeit). Die bewegte Geschichte des Teppichs zu erzählen, würde den Rahmen des Beitrages sprengen. Kurz gefasst: Er wird stark beschädigt und zerstört und als man im 19. Jh. seinen wahren Wert wiederentdeckt, lässt man ihn restaurieren und die zerschnittenen Stücke so gut es geht wieder zurückführen (Teile davon dienten sogar als Pferdedecke). Dargestellt wird der Zyklus der Apokalypse bzw. die Offenbarung des Johannes – das letzte Buch des neuen Testamentes. Das Spiel zwischen Gut und Böse wird höchst kreativ dargestellt und nach vielen Katastrophen, welche die Menschheit heimsuchen, triumphiert Christus. Kein Dämon gleicht hier dem anderen. Johannes erscheint auf jeder Szene als Beobachter – beachtenswert sind vor allem seine Gesichtsausdrücke und seine Gestik.

Sehenswert ist auch das Collégiale St-Martin in Angers, in welchem der maurische Einfluss noch deutlich sichtbar ist. Ursprünglich eine Kirche, besteht sie heute nach 20 Jahren Restaurationsarbeit aus einer Sammlung von sakralen Statuen. Die Ursprünge der Kirche gehen auf die Merowinger zurück. Dank glücklicher Umstände kann man bis heute merowingische Grabmäler in der Krypta der Kirche entdecken.

Die Kathedrale St-Maurice in Angers entsteht im 12. Jahrhundert und besitzt ein wunderschönes Eingangsportal, welches ich leider nicht fotografieren konnte, da es gerade renoviert wird. Im Inneren beeindrucken vor allem die Orgel, welche auf das Jahr 1617 zurück geht (auch Schwalbennestorgel genannt) sowie das Gewölbe des Hauptschiffes und die Buntglasfenster der Rosette (15. Jh.).

Übrigens ist Angers die Stadt des Cointreau. Jedes Jahr füllt man hier 15 Millionen Liter des Orangenlikörs ab. Eine Crêpe Suzette mundet hier wohl am besten.

Château de Serrant: Das Schloss Serrant besitzt eines der schönsten Renaissance-Treppenhäuser und ist prunkvoll ausgestattet mit erlesenen Stilmöbeln, Tapisserien, Gemälden und Kunstgegenständen. Sehenswert ist aber auch die Bibliothek, die aus 12’000 Bänden besteht. Das Grabmal des bekanntesten Schlossherren, Marquis de Vaubrun, befindet sich in der Schlosskapelle. Die irische Jakobiten-Familie Walsh übernimmt im 18. Jh. das Schloss, weshalb in einem Wohnraum ein Bild von Bonnie Prinz Charlie zu sehen ist. Dieser verabschiedet sich von Anthony Walsh, welcher ihm ein Schiff für die Überfahrt nach Schottland zur Verfügung stellt. Das Schloss Serrant ist bis heute Privateigentum und wird von den aktuellen Besitzern, Nachkommen der Familie La Trémoille, bewohnt. Besonders beeindruckt hat mich der Schmuckkasten aus Ebenholz mit seinen Geheimfächern – eine kostbare Seltenheit.

Tag 3: Cunault – Montreuil Bellay – Abtei Fontevraud

Église Notre-Dame de Cunault: In die Kirche von Cunault habe ich mich sofort verliebt bzw. in deren Kapitelle, die höchst kreativ gestaltet sind. Die Kirche gilt zu Recht als majestätischste romanische Kirche des Anjou. Sie beeindruckt beim Betreten durch ihre Höhe und den hellen Kalkstein. Beim Rundgang fällt auf, dass sie kein Querschiff besitzt, jedoch 223 Säulen, die so hoch sind, dass man die Motive an den Kapitellen nur mit einem Fernglas oder einem Teleobjektiv betrachten kann. Die Mühe lohnt sich auf jeden Fall. Fantasievoll gestaltete Fabeltiere, Dämonen und sakrale Motive reihen sich aneinander und erhellen definitiv die Laune beim Besuch. Der Boden der Kirche ist durch die unzähligen Wallfahrer bereits stark ausgetreten. Zu den Schätzen der Kirche gehören der geschnitzte Reliquienschrein aus dem 13. Jh. (Material: Walnussbaum), die Fresken sowie die Statue der Heiligen Katharina aus dem 15. Jh. Während der Revolution wurde die Kirche komplett zerstört und ab 1838 schrittweise wieder aufgebaut.

Château de Montreuil-Bellay: Bereits die Römer gründeten eine Siedlung auf dem Bergrücken, auf dem sich heute das Schloss Montreuil-Bellay befindet. Die Gründung einer Burg geht jedoch ins 11. Jh. zurück. Der Bau der mächtigen Burgmauern folgt erst zwei Jahrhunderte später. Besonders interessant ist die mittelalterliche Küche, bei welcher die Abtei Fontevraud als Vorbild gedient haben soll. Die mittelalterliche Burg wurde durch einen Renaissance-Neubau im 15. Jh. grösstenteils ersetzt. Die Aussicht auf den Fluss Thouet sowie die Besichtigung der Gartenterrassen fand ich sehr entspannend, zumal man dabei auch ein Glas des guten Hausweines verkosten kann.

Abbaye de Fontevraud: Die Abbaye Royale de Fontevraud ist ein begehrtes Ausflugsziel. Die Abtei ist Frankreichs umfangreichster mittelalterlicher Klosterkomplex und absolut sehenswert, darunter vor allem die vier Grabmäler sowie die romanische Küche. Nach ihrer Gründung im Jahr 1101 durch den Benediktinermönch und Wanderprediger Robert d’Arbrissel besteht die Abtei rund 700 Jahre lang und wird ausschliesslich von Äbtissinnen geleitet – eine absolute Ausnahme zu dieser Zeit, die nicht selten Kontroversen und Proteste bei der männlichen Belegschaft auslöst. Robert vertraut die Leitung der Abtei Pétronille de Chemillé an. Bis zur Auflösung des Klosters im Jahr 1792 wird es von insgesamt 36 Äbtissinnen geführt.

Die Nonnen und Laienschwestern pflegen nicht nur Kranke im Klosterbereich, sondern richten auch ein Lazarett für Aussätzige ein. Zu den Bewohnerinnen gehören sowohl reiche Witwen als auch Frauen aus königlichen Familien sowie ehemalige Prosituierte. Sie alle helfen mit, um das Klosterleben aufrechtzuerhalten und sind gleichermassen akzeptiert. Die Fresken im Kapitelsaal stammen aus dem 16 Jh., wobei sich einige Äbtissinnen nicht minder stolz neben den Szenen aus der Heilsgeschichte abbilden lassen. Besonders beeindruckt hat mich die Klosterküche, welche im frisch renovierten Glanze erstrahlte. Ursprünglich hatte sie acht Herdstellen, sechs sind davon erhalten geblieben. Die Figuren am Dach sind sehr kreativ gestaltet. In der Kirche sind insgesamt 15 Personen aus der Familie der Plantagenêts bestattet, vier Grabfiguren liegen im Hauptschiff der Abteikirche. Hierbei handelt es sich um wirklichkeitsgetreue Plastiken von Henri Plantagenêt, Graf von Anjou und König von England, seiner Frau Éléonore von Aquitanien, welche im Kloster stirbt und den Auftrag für die Grabplastiken gibt, ihr Sohn Richard Löwenherz und Isabelle, die Frau seines Bruders König John I. von England.

Napoleon verwandelt Fontevraud in eines der gefürchtetsten Gefängnisse von Frankreich. 1840 wird die Abtei in die Liste der historischen Denkmäler aufgenommen, erste Renovierungsarbeiten finden jedoch erst ab 1903 statt. Seit 1975 gilt es als öffentliches Kulturzentrum.

Übrigens: Die Baumeister hatten durchaus Humor. Da soll mir doch jemand sagen, dass das Mittelalter eine prüde Zeit war 😉

Teil 2 meiner Loire-Reise erscheint im September.

Planst du deine nächsten Ferien in Kanada zu verbringen? Schaue dir auch meinen Beitrag zu Montréal an.

Bilderquelle: Eigene Aufnahmen