Die goldene Kuppel der Otto Wagner Kirche am Steinhof glitzert und glänzt um die Wette bei Sonnenschein. Mancher Tourist mag sich fragen, was denn das für eine goldene Krone über Wien sei. Wenn du die Stadt vom Westen her betrachtest, dann leuchtet sie dir entgegen. Vor einigen Jahren noch beinahe unbekannt, erklimmen heute ganze Scharen von Touristen den Hügel am Steinhof, um die Jugendstilperle von Wien zu entdecken. Kennst du sie schon?

Mir persönlich gefällt die Kirche von Otto Wagner. Viele Zeitgenossen von ihm waren da anderer Meinung. Der Architekt baut sie in einer Zeit, die geprägt ist von Umbruch und Unsicherheit. Gegen alle Widerstände verwirklicht er seine Vision: Ein Gotteshaus zwischen Jugendstil und Funktionalität sowie zwischen Kunst und Heilung. Heute möchte ich dir mehr über die Entstehungsgeschichte der Kirche sowie über den Architekten Otto Wagner erzählen.

Otto Wagner: Visionär der Moderne

Otto Wagner (1841–1918) ist einer der wichtigsten Wegbereiter der Wiener Moderne. Er ist Visionär und Stadtplaner in der Zeit der sogenannten «Belle Epoque», auch Fin de siècle genannt. Während andere Architekten noch in historistischen Fassaden schwelgen, strebt Otto Wagner nach einer neuen, funktionalen Ästhetik. Für ihn soll die Architektur dem Menschen dienen. Sie soll schön, aber auch nützlich sein. Die Kirche am Steinhof ist eines seiner letzten Bauwerke und der Höhepunkt seines Schaffens.

Für uns ist die Kirche heute ein Juwel des Jugendstils. Doch der Auftrag, eine Kirche für das neue Spital am Steinhof zu bauen, war für Otto Wagner eine besondere Herausforderung, denn er stösst mit seinen modernen Vorstellungen auf Widerstand: zu kühn, zu wenig „kirchlich“, sagen viele. Otto Wagner setzt sich durch – mit Leidenschaft und einem klaren Konzept.

Die Otto Wagner Kirche am Steinhof: Eine Antwort auf die Bedürfnisse der Zeit

Die Kirche ist Teil des psychiatrischen Spitals am Steinhof und zunächst nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, sondern nur für die Patienten und das Pflegepersonal. Sie entsteht zwischen 1904 und 1907. Erst später wird sie als Otto-Wagner-Kirche bekannt.

Steinhof liegt ausserhalb von Wien. Auch heute geht es eine ganze Weile mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bis man das Areal erreicht. Bereits hier mag man die damaligen Widerstände erahnen. Otto Wagner ist ein bekannter Architekt und politisch gut vernetzt, doch seine moderne Kirche soll er dann doch ausserhalb von Wien und gut versteckt bauen…

Otto Wagner lässt sich nicht beirren. Obwohl ein anderer Architekt bereits Pläne für das gesamte Areal erschaffen hat, verwirft er diese und setzt eine symmetrische Ordnung der Gebäude durch. Die Kirche muss er nach praktischen Gesichtspunkten entwerfen und auf die Patienten Rücksicht nehmen. Es braucht breite Gänge für Betten, abgerundete Ecken für die Sicherheit, helle Räume zur Beruhigung, keine Stufen oder Hindernisse. Das Endresultat zeigt: Funktionalität und Schönheit müssen sich nicht ausschliessen.

Es ist ein revolutionärer Gedanke: Otto Wagner schafft eine Umgebung, in der Spiritualität, Ästhetik und moderne Medizin zusammenkommen.

Von aussen: Jugendstil vom Feinsten

Du näherst dich der Kirche von unten und sobald du den Hügel erklommen hast, steht sie vor dir – glänzend und beeindruckend. Die Kuppel besteht aus Kupfer und ist mit Blattgold vergoldet. Sie wirkt wie eine Sonne. Dann sehen wir die weissen Marmorplatten mit goldenen Ornamenten (auch vergoldetes Kupfer). Beim Eingang begrüssen uns vier Engelsgestalten sowie Lorbeerkränze. Die Kirche wirkt festlich und empfangend. Beinahe vergessen wir, dass sie Teil einer psychiatrischen Anstalt war.

Nichts ist hier dem Zufall überlassen – schon gar nicht die Positionierung auf dem Hang. Jedes Detail ist von Otto Wagner durchdacht. Er verwendet eine klare Geometrie und moderne Materialien wie Aluminium und Glas. Es gibt keine Verspieltheit, sondern klare Formen. Das ist höchst ungewöhnlich für eine Kirche und wirkt abstossend auf die Zeitgenossen von Otto Wagner. Aber genau die hellen Farben und die einfachen Linien begeistern uns heute.

Wenn du um die Kirche herumgehst, siehst du zwei überdachte Seiteneingänge. Hier konnte das Pflegepersonal unruhige Patienten betreuen ohne Nass zu werden bei Regen. Ein kleines, aber geniales Detail. Auf der rechten Seite gibt es eine Marmor-Konstruktion, die wie ein zugebauter Eingang wirkt. Scheinbar war hier ein Eingang in eine Krypta beziehungsweise einen Unterraum geplant. Dies wurde jedoch nie umgesetzt.

Von innen: Licht, Raum, Spiritualität und Funktionalität

Ich war überrascht, wie hell die Kirche von Innen ist. Zuerst dachte ich, dass die Marmorplatten aussen das ganze Licht verschlucken, doch der Innenraum ist hell und feierlich. Besonders mag ich die Schlichtheit. Die Farben Gold und Weiss dominieren. Der Baldachin im Altarraum glänzt in Gold zusammen mit den Mosaiken von Koloman Moser. Die Fenster werfen buntes Licht auf die weissen Wände. Schaue dir unbedingt die kunstvoll gestalteten Lampen an. Erstaunt war ich, dass nichts kalt wirkt trotz den hellen Farben – im Gegenteil. Hier findet man definitiv Ruhe (wenn man die Touristen ausblenden kann).

Auch im Innenraum herrscht das Prinzip der Funktionalität: abwaschbarer Fussboden, einfache Beichtstühle, klare Wegeführung, keine spitzen Ecken. Einige Bänke in der Mitte des Raumes sind kürzer. Hier hat man die «unruhigen» Patienten hingesetzt. Der Raum wirkt sehr harmonisch. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Patienten hier wohlgefühlt und Ruhe gefunden haben. Architektur als seelische Unterstützung – Otto Wagner hatte das verstanden.

Kommen wir zu den Fenstern: Die Bleiglasfenster wurden von Koloman Moser entworfen und von Leopold Forstner geschaffen. Auf dem westlichen Fenster sind Heilige dargestellt. Die Engel über den Heiligenfiguren halten das Grabtuch Jesu. Das östliche Fenster zeigt geistliche Werke der Barmherzigkeit. So sehen wir zum Beispiel wie Johannes der Täufer Sünder zurechtweist oder Franz von Sales, der Unwissende belehrt. Die Engel oberhalb blicken dabei zur Taube empor.

In den Fenstern der Kuppel sehen wir die vier Evangelistensymbole. Das Eingangsfenster wird leider von der Orgel verdeckt und wir können es nur von aussen betrachten. Es stellt Gottvater mit ausgebreiteten Händen dar. An den Seiten wird er von zwei Engeln sowie von Adam und Eva flankiert.

Dem heutigen Altarbild gehen Streitigkeiten voraus. Ursprünglich sollte es von Koloman Moser gestaltet werden. Doch dieser konvertiert zum Protestantismus und so wird ihm der Auftrag entzogen. Daraufhin legt Carl Ederer einen Entwurf vor, der an die Idee von Moser anknüpft. Moser wirft ihm vor sein Werk zu plagiieren und startet einen Gerichtsprozess. Als die Kirche 1907 eröffnet wird, ist der Altarraum leer. Es folgt ein weiterer Entwurf von Remigius Geyling, der den Auftrag wegen „fehlender Eignung“ kurze Zeit später zurückzieht. Die heutige Ausführung erfolgt durch Leopold Forstner. Es zeigt den segnenden Jesus flankiert von Heiligen und Engeln. Die kleineren Mosaike an den Seiten des Altars stammen hingegen noch von Koloman Moser.

Die Otto Wagner Kirche heute: Ein Besuchermagnet

Lange Zeit war die Otto Wagner Kirche ein Geheimtipp. Heute öffnen sich ihre Türen regelmässig für öffentliche Führungen und für kulturelle Veranstaltungen. Wenn du dich für Jugendstil, Architektur oder Wiener Geschichte interessierst, wirst du hier fündig.

Die Kirche erschliesst sich nicht auf den ersten Blick. Ich empfehle deshalb eine Führung zu buchen. Es ist ein Stück Wiener Moderne, das sich zu entdecken lohnt. Nimm dir einen freien Nachmittag, fahre hinaus auf die Baumgartner Höhe und entdecke Wiens goldene Krone.

Und wenn du nächstes Mal einen Wiener sagen hörst «Der gehört ja nach Steinhof», dann weisst du wie das gemeint ist 😉

In diesem Video erfährst du mehr über den Architekten Otto Wagner und seine Bauwerke:

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Besucherinformationen:
Adresse
: Otto Wagner Kirche am Steinhof, Baumgartnerhöhe 1, 1040 Wien
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag: 10Uhr bis 17Uhr, Samstag: 14Uhr bis 17Uhr, Sonntag: 11uhr bis 17Uhr (für 2025)
Anreise: mit dem Bus 48A bis Baumgartnerhöhe, dann zu Fuss den Hügel hoch bis zur Kirche

Bist du interessiert an weiteren Kulturausflügen? Schaue dir gerne meinen Beitrag über das Kloster Fischingen in der Schweiz an.

Bilderquellen:
Eigene Aufnahmen (keine Werbung)

Alle Informationen stammen aus der öffentlichen Führung oder von der Webseite (Wien Museum – hier kannst du auch die öffentlichen Führungen buchen).