Öffentliche Kunst, also Graffiti und Skulpturen, die sich im öffentlichen Raum befinden, das ist unser heutiges Thema. Kunst, die draussen auf der Strasse und auf Plätzen steht und kostenlos betrachtet werden kann. Britta und ich haben in unseren beiden Heimatstädten Frankfurt und Zürich eine gemeinsame Stadttour gemacht und wir verraten dir heute, was wir alles entdeckt haben. Komme mit uns mit auf unsere Städtereise. Kennst du alle versteckten Gässchen schon oder können wir dir etwas Neues zeigen?

Hier kommen unsere Highlights:

  • Das Schliessfach von Albert Einstein an der ETH Zürich
  • Die Sprayfiguren von Harald Naegeli in der ETH Garage und in der Altstadt von Zürich
  • Das Reiterdenkmal von Hans Waldmann an der Münsterbrücke
  • Den Schutzengel von Niki De Saint Phalle am Zürcher Hauptbahnhof
  • Die Leerlaufmaschine Heureka von Jean Tinguely am Zürichsee
  • Den Pavillon von Max Bill an der Bahnhofstrasse in Zürich
  • Die Euro-Skulptur von Ottmar Hörl in Frankfurt
  • Das Frankfurter Mahnmal von Rosmarie Trockel
  • Die Skulptur Kontinuität von Max Bill in Frankfurt

Öffentliche Kunst: Eine Einordnung

Wenn du an die beiden Städte Zürich und Frankfurt denkst und an Kunst im öffentlichen Raum, welches Kunstwerk fällt dir da als Erstes ein? Bei meiner Heimatstadt Zürich ist es tatsächlich mein Arbeitgeber, die ETH Zürich. Dort gibt es viele kostenlose Kunstwerke zu sehen. Sogar die Besichtigung der Graphischen Sammlung ist gratis. Ein Kunst-Rundgang durch die altehrwürdigen Hallen lohnt sich auf jeden Fall.

Besonders toll finde ich, dass man sich das Schliessfach von Albert Einstein anschauen kann. Dieser hat zwischen 1896 und 1900 an der ETH studiert bzw. am Polytechnikum, wie die Hochschule damals noch hiess.  Es handelt sich hierbei um das kleinste Museum von Zürich. Wir sehen Fotos aus seinem Privatleben und aus seiner Zeit an der ETH. Du hörst sogar seine Lieblingsmusik von Mozart, wenn du das Schrankfach öffnest. Ist das nicht toll?

Es ist wichtig das Thema historisch aufzurollen, denn die meisten Kunstwerke, die ich dir heute zeige, stammen aus der Moderne oder sind zeitgenössische Werke. Lange war öffentliche Kunst aber ein Zeichen von Macht: Herrscher setzten sich selbst ein Denkmal, zum Beispiel ein Reiterdenkmal. In vielen europäischen Städten gibt es Reiterstatuen oder sonstige Machtdemonstrationen auf öffentlichen Plätzen. Dies haben wir in Zürich weniger, da wir keine Monarchie hatten; aber auch hier haben sich wichtige Persönlichkeiten ein Denkmal gesetzt.

Eines davon ist die Statue von Hans Waldmann auf der Münsterbrücke. Er war ein berühmter Heerführer und später auch Bürgermeister von Zürich. Waldmann erlangte grossen Ruhm im Jahr 1476 in den Burgunder Kriegen und wurde 1483 zum Bürgermeister gewählt. Er war einer der mächtigsten Eidgenossen seiner Zeit.

In Frankfurt gibt es viele moderne Skulpturen, die das Stadtbild prägen. Und sie zeigen: Öffentliche Kunst gehört heute nicht mehr nur den Mächtigen, sondern Allen. Wir alle können die Skulpturen kostenlos anschauen. Vielleicht haben wir gar nicht nach ihnen gesucht – genau darin liegt ihr Reiz. Dadurch wird die öffentliche Kunst demokratisch. Auch Graffiti sehen wir an Wänden von Häusern, allerdings wurden diese oft verbotenerweise gesprayt. Damit haben sich die Künstlerinnen und Künstler sozusagen den städtischen Raum angeeignet.

DER Sprayer von Zürich: Harald Naegeli

Sowohl in Zürich als auch in Frankfurt gibt es viele unterschiedliche Skulpturen, an denen wir beide früher oft achtlos vorbeigelaufen sind. Heute bleiben wir beide immer wieder stehen, um die Skulpturen zu betrachten. Ich hatte vor allem zu Graffitis lange Zeit keinen Zugang, dabei wohnt in Zürich ein grosser Graffiti Meister: Harald Naegeli. Die Garage der ETH scheint ihn besonders inspiriert zu haben. Hier finden wir unzählige Sprayfiguren.

Doch lange Zeit waren Naegeli und die Stadt Zürich auf Kriegsfuss. Seine Figuren wurden als Wandbeschmutzungen beschimpft und wieder weggemacht. Die Stadt setzte sogar ein Kopfgeld auf ihn aus und er musste nach Deutschland fliehen, um der Haftstrafe zu entgehen. Das Kriegsbeil wurde jedoch begraben und der heute über 80-Jährige Naegeli wohnt wieder in Zürich. Er gilt als Pionier der Street Art. Hier zeigt sich, dass das Verständnis von Kunst einem Wandel unterliegt.

Auch in der Altstadt von Zürich sind seine Sprayfiguren omnipräsent; doch brauchst du ein gutes Auge, um sie zu entdecken. Hier hilft uns das Musée Visionnaire aus. Regelmässig gibt das Museum geführte Spaziergänge durch die Innenstadt. Die Tour führt uns durch unbekannte Gassen und wir sehen seine Figuren plötzlich überall. Bei schönem Wetter kannst du seine Graffitis selber entdecken mit einem gratis Audioguide. Rund 40 Minuten dauert der Rundgang und wir entdecken natürlich nicht nur die Figuren von Naegeli, sondern auch weitere öffentliche Kunst(werke).

DAS Wahrzeichen von Frankfurt: Die Euro-Skulptur

Das Euro-Zeichen am Willy-Brandt-Platz in Frankfurt dürfte das wohl bekannteste Kunstwerk der Stadt sein. Das blau-gelbe €-Zeichen ist 14 Meter hoch und steht vor dem früheren Sitz der Europäischen Zentralbank. Es ist nicht nur zu einem beliebten Fotomotiv geworden, sondern gilt auch als Symbol für die europäische Finanzpolitik. Oft sieht man die Skulptur im Fernsehen als Hintergrundbild bei Finanznachrichten aus Frankfurt. Der Künstler heisst Ottmar Hörl. Er stellt Serienkunst für den öffentlichen Raum her. Seine Figuren sind aus Kunststoff und man kann sie an vielen Orten in verschiedenen Grössen kaufen – mit und ohne Signatur des Künstlers.

L’ange protecteur: Ein Schutzengel für Reisende

Wenn du in Zürich mit dem Zug ankommst, kannst du ihn nicht übersehen: Den riesigen Engel von Niki de Saint Phalle. Er hängt an der Decke der Haupthalle. Es handelt sich um einen Schutzengel für Reisende. Die Figur ist 11 Meter hoch. Fun Fact dazu: Der Engel wird alle drei Monate abgestaubt und das ist nur mit einem Staubwedel möglich. Niki hat nämlich Wasserfarben benutzt und wenn man ihn anders reinigen würde, würden die Farben verblassen. Leider habe ich noch nie gesehen wie er gerenigt wird.

Die Figur sieht wie ihre berühmten Nanas aus. Mit den Nanas feiert sie den weiblichen Körper, seine Kraft und die Fruchtbarkeit. Die Nanas strahlen Freude und Lebenslust aus. Der Engel am Zürcher Hauptbahnhof scheint leicht wie eine Feder zu sein, doch er wiegt 1.2 Tonnen (höre gerne in unsere Podcastfolge über Niki rein). Öffentliche Kunst kann erfreuen, aber auch ein Mahnmal sein, wie wir beim nächsten Werk sehen.

Ein Engel für Frankfurt: Mahnmal aus Bronze

In der Frankfurter Innenstadt gibt es auch einen Engel, aber mit einer ganz anderen Bedeutung. Er ist eher klein und ich glaube viele kennen ihn gar nicht. Die Künstlerin heisst Rosemarie Trockel. Bekannt wurde sie durch ihre Strickbilder. Diese sind maschinell gefertigte, grossformatige „Wollgemälde“, die die stereotype, weibliche Handarbeit aufnehmen. Sie stellt damit ironisch und kritisch Geschlechterrollen, aber auch das Kunsthandwerk selbt infrage. Die Künstlerin verwandelt scheinbar banale Muster in kraftvolle, feministische und konzeptuelle Kunstwerke.

Der Engel in Frankfurt ist aber nicht gestrickt, sondern besteht aus Bronze. Er hat eine sichtbare Narbe, denn die Figur erinnert an eine dunkle Zeit. Die Skulptur basiert auf einem Engel, der sich früher am Kölner Dom befand. Diesen gibt es heute nicht mehr bzw. nur das Gipsmodell davon. Rosemarie Trockel nimmt den Wachsabguss dieses Modells, schlägt dem Engel den Kopf ab und setzt ihn leicht verschoben wieder auf. Die Bruchstelle bleibt als Narbe sichtbar. Es handelt sich hierbei um ein Mahnmal der Homosexuellenverfolgung. Der Engel steht auf einem achteckigen Sockel.  Darauf steht eine Inschrift, die an die von den Nationalsozialisten verfolgten, homosexuellen Männern und Frauen erinnert.

Frankfurt enthüllt die Skulptur 1994 als Erste seiner Art in Deutschland. Ich finde es wichtig, dass öffentliche Kunst uns auch an dunkle Zeiten erinnert.

Heureka! Ich hab’s gefunden!

Da wir zuvor von Niki gesprochen haben, möchte ich dir auch die Skulptur ihres Ehemannes, Jean Tinguely, vorstellen. Sie heisst Heureka und befindet sich am Zürichsee. Es handelt sich um eine kinetische Maschine. Leider haben wir sie nicht in Aktion gesehen, da gerade das Open Air Kino dort ist. Heureka ist die erste so genannte “Leerlaufmaschine” von Tinguely. Sie ist immer noch im Betrieb. Von April bis Oktober läuft sie täglich um 11Uhr, um 15Uhr und um 19Uhr jeweils für 8 Minuten. Tinguely hat die Maschine 1964 für die Landesausstellung in Lausanne geschaffen. Heureka ist Altgriechisch und bedeutet “ich hab’s gefunden”.

Doch warum heisst die Maschine so? Der Name ist durchaus ironisch zu verstehen. Tinguely kritisiert hier unsere Gesellschaft. Es ist eine Maschine, die einfach läuft, also ohne Zweck (deshalb Leerlaufmaschine). Irgendwann ist sie von ihrer Betriebsamkeit erschöpft und funktioniert nicht mehr (das dürfte einigen von uns bekannt vorkommen…). Öffentliche Kunst kann somit sehr kritisch sein. Das Rhythmische der Maschine hat aber auch etwas Beruhigendes. Es ist stetig und kontinuierlich. Diese Kontinuität gibt mir eine perfekte Überleitung zu den Skulpturen von Max Bill.

Ein ruhiger Anker im geschäftigen Alltag

Die Skulptur Kontinuität von Max Bill in Frankfurt besteht aus Granit und sieht aus wie ein verdrehtes Band. Sie hat nur eine Seite und eine Kante. Wer der Kante folgt, kommt zum Ausgangspunkt zurück. Die Form erinnert an ein Möbiusband – ein Spiel mit Raum und Unendlichkeit. Frankfurt ist wie Zürich eine Bankenstadt und so wundert es nicht, dass sich in dieser Gegend auch viel öffentliche Kunst befindet. Die Kontinuität steht direkt neben der Deutschen Bank und wiegt 80 Tonnen. Sie zählt zu den schwersten Granitskulpturen der Welt.  Trotz des massiven Materials sieht sie beweglich und weich aus. Der Künstler Max Bill entwirft die Form in den 1930er Jahren. Für die Deutsche Bank erschafft er später eine grosse Version davon.

Max Bill ist ein Schweizer Künstler. Deshalb haben wir in Zürich auch Werke von ihm. Zwei davon habe ich persönlich gesehen: Die Skulptur Unendliche Fläche, die auf dem Hönggerberg steht und auch zur ETH gehört, und das Werk Pavillon, das sich zentral gelegen an der berühmten Bahnhofstrasse befindet. Der Pavillon ist eine begehbare Granitskulptur. Sie steht mitten in dieser geschäftigen Strasse, überall laufen Leute durch und es ist alles sehr hektisch. Die Skulptur bringt meiner Meinung nach Ruhe in diese geschäftige Welt. Aber je nach Blickwinkel kann die sie auch sehr lebendig wirken.

Das finde ich das Schöne an öffentlicher Kunst – wir können sie von verschiedenen Perspektiven betrachten und kommen so vielleicht auf andere Gedanken. Geht es dir auch so?

Dieser Beitrag entstand zusammen mit Britta Kadolsky. Höre gerne in unsere gemeinsame Podcastfolge rein: Kunst im öffentlichen Raum: Kultur für alle in Frankfurt und in Zürich (1)

Schaue dir gerne die dazugehörigen Blogbeiträge an oder höre in unsere Podcastfolge rein:

Bilder: